Gehversuche ohne Grundidee

„Shut up and dance reloaded” präsentiert Choreografien von Tänzern des Staatsballetts

Berlin, 16/01/2010

Als das Staatsballett Berlin vor vier Jahren die Reihe „Shut up and dance!” initiierte, die seinen Tänzern Gelegenheit gab, erste choreograpische Gehversuche vor einem größeren Publikum zu zeigen, wurden die Aufführungen noch eher schamhaft in das Magazin der Staatsoper Unter den Linden verbannt. Spätestens seit der spektakulären zweiten Ausgabe im Friedrichshainer Techno-Tempel Berghain im Jahre 2007 genießt die choreografische Werkstatt Kultstatus und zieht auch ein jüngeres Publikum an, das den Klassikerinszenierungen auf der großen Bühne sonst eher fernbleibt. Grund genug also, die dritte Ausgabe, „Shut up and dance reloaded”, nun endlich auf einer „ordentlichen” Bühne im Haus der Komischen Oper zu zeigen.

Wie um den Kreis zu schließen, wird an diesem Abend auch ein Stück aus dem allerersten „Shut up and dance”-Programm präsentiert: „Amongs myselves” von Martin Buczkó und dem im vergangenen Jahr tragisch verstorbenen Sebastian Nichita ist nicht nur Erinnerung an einen jungen vielversprechenden Künstler, sondern auch das einzige Stück des Programms, das ohne vordergründige Virtuosität auskommt: Zu den Improvisationen der Cellistin Zoë Cartier geben sich zwei Paare einer minimalistischen Meditation über zwischenmenschliche Beziehungen hin. Hier eine Hebefigur, dort ein erschöpftes Zu-Boden-Sinken - mit ihrer erdenschweren, extrem reduzierten Bewegungssprache erreicht diese unprätentiöse Miniatur eine Ernsthaftigkeit und Strenge, an der sich keine andere Choreografie des Abends messen kann.

Zwar mangelt es den übrigen Arbeiten nicht an technischer Versiertheit und originellen Einfällen, doch kaschieren häufig Lichteffekte und bombastische Soundtracks das Fehlen einer schlüssigen Grundidee oder gar eines wirklichen Anliegens. Kathleen Popes Zweiteiler „Space control area” nimmt sich zwar vor, das Schaffen der Musikpionierinnen Clara Rockmore und Delia Derbyshire zu würdigen, erschöpft sich jedoch schnell in einer mäßig amüsanten James-Bond-Film-Ästhetik, in der zwei Männer und zwei Kopfhörer tragende Frauen in schwarz-weißen Pop-Art-Anzügen selbstironische Formationstänze exerzieren. David Simics „Feelings of X+1=3” lässt zwei männliche Tänzer auf drei Damen in Raketen-Bustiers à la Jean Paul Gaultier los und jagt sie durch einen Parforceritt verschrobener Sinnlichkeit. Während Tim Plegges „Sonett XVIII” und Martin Buczkós „Will” ihre zweifellos originellen Ansätze beinahe per Videoinstallation und eingesprochenem Text in pseudophilosophischem Ballast ersticken, gelingt einzig Xenia Wiest die gelungene Synthese aus purer Tanzfreude, ansprechender Verpackung und intellektuellem Anspruch. Ihr Stück „To be continued” beginnt mit dem Bild einer zusammengesunkenen Tänzerin, die mit nach innen gedrehten Knien und Ellenbogen wie ein verkrüppelter Vogel wirkt - und steigert sich alsbald zu einem Feuerwerk der Bewegung, das in seinen besten Momenten an internationale Größen wie La La La Humans Steps oder die Batsheva Company erinnert.

Besonders bestürzend nimmt sich in diesem Abend Nadja Saidokowas „Egopoint” aus, das bei seiner Premiere im Haus der Berliner Festspiele von der Kritik gnadenlos verrissen worden war. Obwohl die Choreografin ihr 50-Minuten-Stück merklich entschlackt hat und nun auch selbst einen Part als Tänzerin übernimmt, wirkt ihre Parabel über den Menschen auf seiner Suche nach Gleichgewicht auf der kleineren Bühne der Komischen Oper noch inhaltsleerer und braver als auf der Riesenbühne in der Schaperstraße. 

www.staatsballett-berlin.de
 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern