Meckern auf hohem Niveau

Rollendebüts bei Neumeiers „Illusionen – wie Schwanensee“

Hamburg, 04/05/2010

Ein Stück in der zweiten oder dritten Besetzung zu sehen, ist immer spannend – lässt sich daran doch erkennen, wie vielfältig eine Kompanie ist. In Hamburg bot die Wiederaufnahme von „Illusionen – wie Schwanensee“ in diesen Tagen eine gute Gelegenheit dazu (zur ersten Besetzung siehe tanznetz vom 25. April).

John Neumeier könnte dieses opulente Stück in drei hochkarätigen Versionen zeigen, würden ihm nicht die Verletzungen von Ivan Urban und Otto Bubeníček einen Strich durch die Rechnung machen. Aber auch das, was zu sehen war, vermittelte einen Eindruck von der Fülle, aus der der Hamburger Ballett-Intendant bei seinem Ensemble schöpfen kann. Wenngleich auch deutlich wurde, dass viel Übung und Erfahrung, vor allem aber auch Arbeit an sich selbst nötig ist, um die anspruchsvollen Hauptrollen so auszufüllen, wie es das Stück gebietet.

In der zweiten Besetzung tanzte Thiago Bordin den König, Hélène Bouchet die Prinzessin Natalia, Mariana Zanotto und Alexandre Trusch waren Prinzessin Claire und Graf Alexander, Edvin Revazov der „Mann im Schatten“ und Anna Laudere gab ihren Einstand als weiße Schwanenprinzessin Odette. Um es vorwegzunehmen: An die erste Besetzung reicht diese nicht heran – aber sie zeigt eine respektable Vorstellung – was hier zu kritisieren ist, bedeutet „Meckern auf hohem Niveau“.

Thiago Bordin verleiht dem tragischen König noch nicht genug Tiefgang und Zerrissenheit, man nimmt ihm dieses Irrewerden an Realität und Illusion nicht so richtig ab. Und im Grand Pas de deux lief er leider nicht zu der gewohnten Form auf, die er durchaus auf der Bühne zu entfalten vermag.

Auch Hélène Bouchet hält im dritten Akt nicht so richtig, was sie im ersten fast magisch verspricht – mit Balancen zum Luftanhalten. Bei der Vorstellung am 2. Mai jedenfalls verstolperte sie ihre 32 Fouettés und musste nach der Hälfte schon kapitulieren – offenbar ist auch eine ansonsten so sichere Tänzerin wie sie vor solcher Unbill nicht gefeit. Mehr jedoch fiel ins Gewicht, dass sie den sensiblen Pas de deux mit dem König danach nicht so mit Leben zu erfüllen vermag, wie das die Situation erfordert. Das blieb relativ oberflächlich und blass – schade.

Ein Lichtblick dagegen waren Mariana Zanotto und Alexandre Trusch, die Claire und Alexander mit unbekümmerter Verve die nötige Jugendlichkeit und Frische einhauchten, die diese beiden Rollen brauchen, um ihre Wirkung zu entfalten. Auch saß jede Geste und jeder Schritt – ein Genuss!

Beachtlich schlug sich Edvin Revazov als „Mann im Schatten“ – allerdings wünscht man ihm mehr Mut zum Dämonischen und zur zwingenden Präsenz. Dieses Alter Ego des Königs hat ja Macht über Ludwig II., er beherrscht dessen Seele, und ist dann doch immer wieder auch besorgt um eben dieses Gemüt. Der „Mann im Schatten“ muss also diese Janusköpfigkeit entfalten können – einerseits Dominanz, andererseits Fürsorge und Erbarmen. Edvin Revazov darf da gerne noch ein bisschen mehr an Innigkeit, aber auch an Entschlossenheit in sich freisetzen, um dieser Rolle noch mehr Kontur und Faszination zu verleihen. Es wird Zeit, dass er seinen darstellerischen Fähigkeiten endlich mal richtig die Sporen gibt – das Zeug dafür hat er, er nutzt es nur viel zu selten.

Anna Lauderes Schwanenprinzessin Odette im zweiten, „weißen“ Akt bleibt leider viel zu ernst, streng und fern, um zu Herzen zu gehen. Sie tanzt ordentlich und mit durchaus respektabler Linie, aber es fehlt das Zwingende, die Präsenz, ohne die der König ihr niemals seine Liebe schwören würde. Weshalb man auch nicht so richtig versteht, dass das geschieht.

Als wahrer Glücksgriff für das Hamburg Ballett erweist sich jedoch mehr und mehr ein Nicht-Tänzer: Dirigent Simon Hewitt lenkt die Philharmoniker so einfühlsam und gekonnt, dass es eine Freude ist. John Neumeier hat gut daran getan, ihn als Ersten Dirigenten für das Ballett zu verpflichten. Wenn das Orchester das Stück jetzt noch ein bisschen mehr proben dürfte, wäre das Glück perfekt – denn Tschaikowskys „Schwanensee“-Musik hat so ihre Tücken, vor allem, wenn sie so schön langsam gespielt werden muss wie in Neumeiers Fassung. An Simon Hewett hat es jedenfalls nicht gelegen, dass es manchmal aus dem Graben etwas quietschte und schepperte – und das hat das Stück nun wahrlich nicht verdient.

www.hamburgballett.de

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