Die Klage des Kaninchens

Das Tanzsolo „Rabbit is Crying“ von Eun-Me Ahn bei den Schlossfestspielen

Heidelberg, 27/07/2010

„Please hold my hand”, „Louder! Can you hear me?” und „Softer! I can’t hear you”: farbintensiv, kontrastreich und gespickt mit provokanten Untertönen sind die bildstarken Produktionen der Eun-Me Ahn. Die koreanische Choreografin hat mit Zwischenstopp in New York von 2000 bis 2003 die Daegu Metropolitan City Dance Troupe geführt und leitet seit 1988 ihr eigenes Ensemble, die Eun-Me Ahn Company. Im Fußballjahr 2002 choreographiert sie die Eröffnungsveranstaltung der WM in Südkorea, für die deutsche Bühne wird sie von Pina Bausch entdeckt. Was der Experimentator Nam-Jun Paik für die Videokunst war, ist Eun-Me Ahn für modernen Tanz und zeitgenössische Performing-Arts.

Vor einem Jahr begeistert Ahn das Publikum der Heidelberger Schlossfestspiele mit „Rabbit is dancing“, einer Fusion aus zeitgenössischem Tanz und buddhistischem Ritual zur Erlangung der Glückseligkeit. Wieder unter freiem Himmel im Halbrund des Dicken Turms und ebenfalls zur Musik des Komponisten Young-Gyu Jang präsentiert sie jetzt, in kleinerer Besetzung, „Rabbit is crying“, eine Fortsetzung ihres transkulturellen Tanzsolos vom vergangenen Jahr.

Sensibel für Sonnenuntergang und aufgehenden Mond greift die Künstlerin (Markenzeichen klösterlicher Kahlkopf) nach den grandiosen Himmelsfarben, die überm Panorama der Neckarstadt langsam ins Nachtblaue changieren. Bühnenmittig ein Steinblock, der mit glitzernder Alufolie veredelt einem Altar gleicht. Darauf, wie zum Erntedank drapiert, Broccoli und Blumenkohl. Ein Teppich aus mehreren hundert Kilo Karotten liegt am Boden, drum herum stehen zwölf pinkfarbene Plastikgießkannen sowie eine Vase mit weißen Papierblumen.

Wie das verkörperte Abendrot tritt die gertenschlanke Pansori-Sängerin Seung-He Lee im orange-glänzenden, hautengen Abendkleid auf. Sie rezitiert, singt und improvisiert das uralte Wasserpalast-Lied (Sookoong-Ga): Der Meereskönig hat eine kranke Leber. Sein Arzt sagt, nur durch eine Kaninchenleber könne er genesen. Die Schildkröte, seine Dienerin zieht an Land, um ein Kaninchen zu finden. Sie trifft eins, dem sie anbietet, die schöne Unterwasserwelt kennenzulernen. Das Kaninchen ist neugierig und folgt der Schildkröte zum Palast im Ozean. Dort angekommen verraten Schildkröte und König, dass sie seine Leber brauchen. Das listige Kaninchen aber erwidert, es habe seine Leber an Land gelassen. So gelingt es dem gewitzten Tier sich zu retten.

Die im Jahr des Hasen geborene Ahn hat sich ein schneeweißes Kostüm geschneidert. Wie der Abendwind zuvor Haar und Kleid der Sängerin Seung-He Lee umspielt, lässt er jetzt die weißen Fransen tanzen. Langsam nimmt Ahn die Hasenohren ab und rudert zu Gong, Trommel- und Flötenklang – der Geschichte des Pansori-Gesangs folgend - mit den langstiligen Blättern an Land. Hungrig von der langen Reise möchte sich Ahn alias Rabbit am Gemüse laben. Doch das Grünzeug scheint ungenießbar. Eine Aktion mit Spritzen gibt Hinweis auf Gift in Gemüse und Körper. Statt zu futtern spielt Ahn Ball mit Blumenkohlköpfen und Lee hackt Möhren mit einem Beil in Stücke. Schließlich wieder die Kommunion mit den Zuschauern, doch statt Ohren, wie im letzten Jahr, verteilt Ahn Plastiklöffel (nebenbei ein Wortspiel für Lauscher und Löffel, wie Hasenohren hierzulande genannt werden). Klar ist, wer die Suppe auslöffeln soll.

Alltagsgesten gehen im Zeremoniell auf, Innen- und Außenräume verschränken sich, Bedeutsames geht mit Rätselhaftem oder Trivialem Hand in Hand. Kontrastierende Farbtöne greifen ineinander, Klänge aus der tiefe einer fernen Zeit und fremden Kultur verschmelzen mit dem Geläut von Kirchenglocken und Hubschrauberlärm. Die poetisch skurrile Performance kann auch als Paraphrase verstanden werden auf Pina Bauschs Film „Die Klage der Kaiserin“, in dem eine Tänzerin im Bunny-Dress über einen aufgewühlten Acker stöckelt.

Info: „Rabbit is crying“ - Eine weitere Aufführung am 29.Juli um 20.30 Uhr im Dicken Turm des Heidelberger Schlosses

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