Hase in Ekstase

Eun-Me Ahn mit „Rabbit is dancing“ bei den Heidelberger Schlossfestspielen

Heidelberg, 18/07/2009

Im chinesischen Horoskop rangiert der Hase, zwischen Tiger und Drache, auf Platz vier. In unserem Kulturkreis hetzt sich Meister Lampe zwischen zwei bauernschlauen Igeln ab und erfährt, was er nicht verstehen kann: der Schnellste ist nicht immer der Gewinner.

„Rabbit is dancing“ titelt das jüngste Solo der Tänzer-Choreografin und Kostümdesignerin Eun-Me Ahn aus Seoul, die nach Zwischenstopp an der Tisch School of the Arts in New York und Auftritten bei Pina Bausch in Wuppertal eine internationale Blitzkarriere hingelegt hat. Für die Heidelberger Schlossfestspiele und den Auftrittsort konzipiert, verbindet sie mit ihrem, zum Ritual geronnenen Hasen-Trancetanz die romantische Kulisse mit dem so genannten Bum-Pae. Ziel dieser buddhistisch-koreanischen Zeremonie aus Musik und Tanz ist, laut Programm, die Erlangung grenzenloser Glückseligkeit.

Bereits der denkbar schönste Panoramablick auf die Stadt, den Fluss und die gegenüberliegenden Berghänge stimuliert das Glücksgefühl. Wie weiland in Shakespeares Globe Theatre sitzt das Publikum auf drei Etagen im Halbrund der Ruine des Dicken Turms und verfolgt diesen Hasenweg der Erleuchtung mit einer Mischung aus Faszination und Befremden. Da ist diese komisch wackelnde Hasenaufziehpuppe, die mit den Ohren schlackert und in ihrer Trivialität so gar nicht dem zeremoniellen Ernst entspricht, mit dem Ahn gemessenen Schritts das Rasenstück umkreist, ein Grasbüschel zupft, zu sich nimmt, um dann, einer Hostie gleich, ihre vielen glitzernd weißen Hasenohren ans Publikum zu verteilen. Sie hatte sich diese Ohrenpaare (wie man sie von Playboy-Bunnys oder Fasching kennt) aufgesteckt und wie einen Kragen um den Hals gelegt. Die stoische Ruhe der Protagonistin ist so beeindruckend wie die Souveränität, mit der sie diese kuriose Kommunion durchführt. Hören die Auserwählten mit zugeteilten Lauschern mehr oder besser?

Auf jeden Fall ist der hypnotische Sog der Musik mit ihren repetitiven Mustern konstitutiver Bestandteil der eigenwilligen Performance. Allen voran die Stimme der Pansori-Sängerin Seung-Hee Lee, schaffen die Musiker Joon-Il Choi (Janggu: Koreanische Trommel), Ji-Yoon Chun (Haegeum: Koreanische Geige), Ji-Yeon Koh (Gayageum: Zwölfsaitige koreanische Harfe) und Won-Il Na (Piri: Koreanische Flöte) in der feinen Ausdifferenzierung mikrotonaler Klangwelten eine meditative Grundstimmung. Leichte Irritation ergibt sich, wenn der Komponist Young Gyu Jang unter die traditionellen Turbulenzen synthetische Klänge schmuggelt, live eingespielt vom Tontechniker. Die Konzentration intensiviert sich mit dem Auftritt des Priesters Jeong Gak, der in kostbare Seide gewandet mit eleganten Armschwüngen goldglänzende Beckenschalen tanzen lässt. Ein Reinigungsritual, Anrufung der Ahnen, Beschwörung der Glückseligkeit? Ganz wie der hin und her rennende Hase im Märchen, erfährt der Zuschauer, was er nicht verstehen kann. Und Eun-Me Ahn vertanzt in der Zwielichtzone von Tag und Nacht die gesamte interkulturelle Symbollast des Hasen – von Fruchtbarkeit und Auferstehung über Reinheit, Weisheit und Kraft bis zur Regeneration und Wiederbelebung - in einem schamanistisch-ekstatischen Finale. Ist Ahns „Rabbit is dancing“ etwa die asiatische Antwort auf Beuys, dessen Aktion „Wie man dem toten Hasen Bilder erklärt“ an der Schnittstelle von uralten Mythen und globaler Realität, zum Ausgangspunkt für den erweiterten Kunstbegriff wurde?

Weitere Vorstellungen am 20., 21. und 24. Juli

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern