Die Verwirrung der Gefühle des Herrn P.

Hans Werner Henzes „Undine“ in Essen

Essen, 19/09/2010

Eigentlich müsste Hans Werner Henzes bekanntestes Ballett „Undine“ in der Essener Erstaufführung in der Choreografie von Stijn Celis „Die Verwirrung der Gefühle des Herrn Palemon“ heißen. Denn eindeutig ist der junge Edelmann die zentrale Gestalt in Celis‘ Interpretation des Märchens von der Nixe, die Mensch werden möchte und dadurch den sie liebenden Mann in den Tod reißt. In Celis‘ Psycho-Studie zwischen Traumwelt und Realität ist die Meerjungfrau nicht mehr als „ein Flackern in Palemons Kopf, eine Imagination seiner aufgewühlten Psyche“, so Celis im Programmheft. Denn weder seine Verlobte, die Adelige Beatrice, noch Undine und auch nicht die im Divertissement des Entertainers Tirrenio, alias Meergott Neptun und Vater des Nixchens, solistisch auftretende Nymphe können seine Sehnsucht nach der wahren Liebe stillen. „Schwanensee“ mit der zarten Odette und der heimtückischen Odile ist da plötzlich ganz nah: Palemon hat seine Liebe verraten und stirbt durch Undines Kuss. Triumphierend gibt sich Neptun mit wild über dem Kopf geschwungenen Dreizack zu erkennen und verbrennt das goldene Häuschen, das der Jüngling erst Undine, dann Beatrice als Liebespfand (anstelle des Amuletts) überreicht hatte.

Reichlich gespreizt und bar fast jeglicher Poesie erzählt Celis die Geschichte, in heutige Zeiten verlegt, sodass sich das Premierenpublikum verwirrt und befremdet zeigte. Nach dem mäßigen Applaus für die Essener Kompanie und das Regieteam (Bühne: Jann Messerli, Kostüme: Catherine Voeffray) schlossen sich Ovationen für den greisen Komponisten an. Dessen „Orpheus“-Ballett ist bekanntlich im selben Haus vor neun Jahren im Rahmen der Verleihung des Deutschen Tanzpreises an den Komponisten „dank“ Heinz Spoerlis aufgewärmter, nicht eben packender Fassung kaum freundlicher aufgenommen worden. Groß ist die Hoffnung nun auf eine unbefangenere Aufführung von Henzes „Pulcinella“ in Hagen. Wie „Undine“ im Rahmen des „Henze-Projekts“ von Ruhr.

2010 einstudiert, hat er am kommenden Freitag Premiere. Celis choreografiert dem Corps de Ballet - die Hofgesellschaft in extravaganten schwarzen Kostümen und das Meervolk als Matrosen und aufreizend sexy Damen - allerlei wenig originelle Shownummern. Die Körpersprache Palemons ist eckig manieriert und wird von Marat Ourtaev mit Pathos in Gestik und Duktus getanzt. Die herbe Koreanerin Yoo-Jin Jang, die in modernen Balletten so hinreißend tanzt, kann als Undine mit ihrer eher muskulösen Figur kaum überzeugen. Nur ihre geschmeidigen Armbewegungen deuten Zartheit und Zärtlichkeit an. Ganz und gar kein Vergleich mit der ätherischen Margot Fonteyn, die Undine in der Uraufführungs-Choreografie von Frederick Ashton 1958 in London so berückend poetisch tanzte. Ana Sánchez Portales dagegen rührt als an sich herrische Beatrice: hochgewachsen und in einen signalroten Hosenanzug gekleidet, macht sie betroffen durch Verletzlichkeit, Trauer und Schmerz. Lieber sähe man die Damen in vertauschten Rollen. Grandios in jeder Hinsicht gestaltet Breno Bittencourt die vielschichtige Rolle des Entertainers Neptun mit magischer Aura, fulminanten Sprüngen und Drehungen. Pirouettenkönigin Adeline Pastor in der eingefügten Rolle der Nymphe/Odile punktet einmal mehr mit Temperament und Verve.

Obwohl in Essen die revidierte Fassung des Balletts präsentiert wird, wirkt die an sich eingängige Musik noch immer geradezu redselig und kaum tänzer-freundlich (unter derselben Crux leidet sein „Orpheus“). Jedoch: schöne lyrische Passagen des kleinen Orchesters – immerhin mit vielen Harfen- und Klaviersoli – wechseln mit dramatischen Szenen. Jazziges Feuer entfacht Henze im Divertissement. Die Bochumer Sinfoniker entfalteten bei der Essener Premiere unter Kapellmeister Volker Perplies den üppigen Reichtum der Klangfarben mit wohltönender Hingabe. 

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