Körperpartituren

„Für Uwe Scholz 2010“ – Paul Chalmers letzter Akt als Ballettdirektor in Leipzig

Leipzig, 28/02/2010

Wie Bögen gespannt sind die Körper der Tänzerinnen. Das linke Bein, dessen Spitze gerade noch den Boden berührt erinnert einzig daran, dass die Schwerkraft ein Naturgesetz ist. Hoch erhoben tragen die Tänzer ihre Partnerinnen und lassen sie in weiten Diagonalen bei irrwitzigem Tempo durch den Raum fliegen.

Ja, wir sind bei Uwe Scholz, dem die Erhöhung der Menschen im Tanz so wichtig war, der der Symbolik der Symmetrien vertraute, die dem Maßwerk des bildhaften Mittelalters verwandt ist, der die Tänzer um einen aufleuchtenden Lichtkreis versammelte, dessen Geheimnis sie mit sich nehmen, wenn er erloschen ist. Nur einmal, fast am Ende seines kurzen Lebens, als er in Dresden für Vladimir Derevianko zu dessen 25-jährigem Bühnenjubiläum einige Lieder aus Schuberts grausigem Zyklus „Die Winterreise“ choreografierte, war sein Tänzer dem Boden, der Erde, der Tiefe, immer wieder so nahe wie man es von Uwe Scholz sonst nicht kannte. Aber auch hier, jetzt in den Wiederaufnahmen der vornehmlich lichten Arbeiten „Jeunehomme“, Mozarts Klavierkonzert Es-Dur KV 271 und „Siebte Sinfonie“, Beethovens Opus 92 in A-Dur, finden sie sich, jene gebrochenen Haltungen, wenn kurz ein Arm eingeknickt wird aus der so eleganten Linie, oder die Ballerina wie in plötzlichem Schmerz das eben noch im Sprung gestreckte Bein jäh anwinkelt.

„Jeunehomme“ hatte Uwe Scholz 1986 für Les Ballets de Monte Carlo kreiert, die Solisten im zweiten Satz waren Ghislaine Thesmar und der sehr junge Paul Chalmer. Im Oktober 2000 choreografierte Scholz sein Meisterwerk für das Leipziger Ballett, jetzt zwei Aufführungen nur, eine wehmütige Erinnerung und ein emotional starker Abend in der Oper am Augustusplatz. Es will scheinen, als sei den Solisten der von Wolfgang Manz mit dem Gewandhausorchester gespielte Solopart vorbehalten, das Orchester Tänzerinnen und Tänzern als Corps oder in solistischen Einwürfen.

Da ist im ersten Satz, dem Allegro, der federnd springende Kiyonobu Negishi mit seinen faszinierenden Armbewegungen und dem heiteren Spiel der Hände. Im zweiten Satz, Andantino, jener musikalischen Schönheit aus Schwermut, haben Itziar Mendizabal und Jean-Sébastian Colau in diesem außerordentlich berührenden Pas de deux mit einem Solo für die Dame auf die Kadenz, eine Vielzahl wunderbarer Momente, die sich den Facetten schmerzhafter Einsamkeit zu zweit zu einem wunderbaren Ganzen fügen. Der Schlusssatz, geschwind tänzerisch, aber ganz gesanglich auch, führt alle zusammen, die Motive des Pas de deux leuchten noch einmal auf, die gelöste Heiterkeit des Beginns und in der Art wie die Tänzerinnen von dem Tänzern einmal nicht von der Bühne getragen, sondern gezogen werden, blitzen Humor und feine Ironie. Selten war Uwe Scholz in der ihm eigenen Art die Partitur einer Musik in die Klangbilder aus menschlichen Körpern zu verwandeln so glücklich in den Erfindungen und so berührend in der Tiefe der Empfindungen.

In seiner Choreografie zu Beethovens siebter Sinfonie, die er 1991 für das Stuttgarter Ballett schuf und sie drei Jahre später in Leipzig einstudierte, kann man besonders im Allegretto des tragischen zweiten Satzes Entsprechungen zu seiner älteren Mozart-Arbeit sehen. Tatjana Paunovic und José Urrutia geben dieser dunkel grundierten Abfolge gemeinsam mit dem Ensemble überzeugende Gestaltung. Ansonsten ist diese Choreografie wesentlich augenfälliger den musikalischen Verläufen nachempfunden, eine spannungsgeladene Vielfalt entspricht den kompositorischen Durchführungen und Themenvariationen Beethovens. Im Hinblick auf Exaktheit, Tempo, Symmetrien und Kraft wird von den Tänzerinnen und Tänzern ein Höchstmaß an Können verlangt und dazu die Kunst Emotion über technische Raffinesse zu stellen. Das gelingt und die Musikalität der Leipziger Kompanie ist auf jeden Fall frischer und präsenter als das wenig inspirierte Spiel der Gewandhausmusiker unter der Leitung von Andreas Schüller.

Stürmischer Beifall für das Leipziger Ballett, bei dem Veränderungen anstehen. Paul Chalmer wird durch Mario Schröder abgelöst, auch er wird die Verpflichtung einlösen müssen, an Uwe Scholz zu erinnern.

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