In vollkommener Harmonie von Musik und Tanz

Das Leipziger Ballett mit zwei Uwe-Scholz-Kreationen im Forum am Schlosspark

oe
Ludwigsburg, 02/04/2006

Stuttgart hat ihn geprägt, als Azubi an der John Cranko-Ballettschule, als Tänzer beim Stuttgarter Ballett und dessen Juniorchoreograf – und, als er sich dann selbständig gemacht hat und selbst Ballettchef erst in Zürich und schließlich in Leipzig wurde, als immer wieder gern gesehener Gast am Eckensee. So schloss sich jetzt ein Kreis, als das Leipziger Ballett zu seinem ersten Gastspiel unter dem neuen Künstlerischen Leiter Paul Chalmer in die Ludwigsburger Vorstadt von Stuttgart kam – auch er ein Ex-Stuttgarter, der seine Tänzerkarriere beim Stuttgarter Ballett begonnen hat und von hier aus in die Welt aufgebrochen war, um vor noch nicht einmal einem Jahr in Leipzig die Nachfolge des allzu früh verstorbenen Uwe Scholz anzutreten.

Und so wehte am Sonntag ein Hauch von Frühlingsstimmung durchs Forum am Schlosspark, waren die Leipziger doch mit zwei Scholz-Kreationen gekommen, die zu den repertoirebeständigsten seines umfangreichen Oeuvres gehören, dem „Jeunehomme-Klavierkonzert“ von Mozart (choreografiert 1986 fürs Ballet de Monte-Carlo) und der 1990 für Zürich entstandenen „Zweiten Sinfonie“ von Schumann. Zwei seiner Sinfonischen Ballette also, die entschieden den Hauptteil seines Gesamtwerkes ausmachen, denn wie kaum ein anderer seiner Generation war Scholz ein Choreograf, für den die Musik – große Musik, von Bach und Mozart bis zu Strawinsky und Zimmermann – das tänzerische Lebenselixier war.

Noch schöner wäre es freilich gewesen, die Vorstellung wäre live von einem Orchester begleitet worden, aber das bleibt den Ludwigshafener vorbehalten, wohin die Leipziger inzwischen zu drei Vorstellungen im Theater im Pfalzbau weitergereist sind. Nach so viel Musikschrott in allzu vielen Ballettvorstellungen heutzutage war man ausgesprochen dankbar, wieder einmal mit einer so vollkommenen Symbiose von Musik und Choreografie konfrontiert zu werden, wie sie in den besten Balletten von Scholz realisiert ist. Wobei man sich an eine der ersten Rezensionen anlässlich der Leipziger (!) Uraufführung von Schumanns zweiter Sinfonie 1840 erinnert fühlte, in welcher der Chefredakteur der „Neuen Zeitschrift für Musik“ Schumann dafür pries, „der den Boden wieder gewann und bebaute, welchen der große ihm vorangegangene Meister betreten hat.“ Gemeint war damals natürlich Beethoven. Wir aber denken in diesem Zusammenhang an Balanchine und sehen in Scholz den Fortsetzer und „Bebauer“ des Balanchineschen Erbes (das andere, wie Forsythe, in eine ganz andere Richtung weiterzuentwickeln im Begriffe stehen).

Die beiden Ballette haben in Leipzig selbst lange im Fundus auf ihre Renovierung gewartet. Die ist noch nicht abgeschlossen und wird in künftigen Aufführungen (die Leipziger Wiederaufnahme ist für den 28. April angekündigt) sicher noch an Feinschliff und Ebenmäßigkeit in der Linienführung gewinnen. Schon jetzt war aber ersichtlich – und ansteckend –, mit welch einer Lust sich die Leipziger Tänzer die dankbaren Partien neuerarbeitet haben. Mit welch einem augen- und fußzwinkerndem Charme Giovanni Di Palma seine Joker-Rolle im ersten Satz des Mozart-Konzerts tanzte. Im zweiten Satz bewiesen dann Kiyoko Kimura (auch sie eine Ex-Stuttgarterin) und ihr felsenfest verlässlicher Partner Christoph Böhm ihre innige Pas-de-deux-Vertrautheit, die sie wie ein Paar aus einem Guss erscheinen ließ. Um dann ihre Solistenstafette weiterzugeben an Maiko Oishi und Rémy Fichet, die sich mit ihren Leipziger Kollegen in den finalen Rondo-Rausch stürzten und so den Jeunehomme-Titel auch jenseits seines originalen Bezugs auf den Namen der Pariser Uraufführungspianistin für sich als Visitenkarten-Motto ihrer Kompanie aus lauter lebenslustig-temperamentvollen und tanzenthusiastischen jungen Menschen zu reklamieren.

Innigere Töne bestimmen dann die Schumann-Sinfonie, die Kiyoko Kimura wie eine Pflanze organisch Gestalt gewinnen und am Schluss dann wieder in ihre Ausgangsposition zurückkehren lässt. Doch welch ein choreografischer Reichtum offenbart sich dazwischen in den vier Sätzen, mit Kimura und Jean-Sébastien Colau und Oishi mit Fichet als Stimmführern im Quartett des Adagio-Satzes. Ihn tanzen die Leipziger wie eine geheime Huldigung an den Thomaskantor ihrer Stadt, dessen Triosonate aus dem „Musikalischen Opfer“ nicht nur die ausdrucksvolle Melodie des Anfangs zitiert, sondern den ganzen Satz in melodischer wie harmonischer Hinsicht prägt. Und wie Schumann hier Bach eigenschöpferisch in die Romantik überführt, so verfährt Scholz mit dem klassischen Erbe, das er im Allegro molto vivace in einer fulminanten, lebensbejahenden Schluss-Stretta gipfeln lässt, bevor er sich zum finalen Paukensolo zurückbesinnt auf die „Schmerzen“, die seine Lebensbahn – wie diejenige Schumanns – so früh und so jäh beenden sollten. Und so endete ein Abend der vollkommenen Harmonie von Musik und Tanz als Synonym für den Namen Uwe Scholz, der seine tänzerisch-choreografische Bestimmung in der Musikstadt Leipzig fand.

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