Verlust der Heimat

Bernardo Coloma mit seiner Performance „Run dry # 3”

Köln, 06/03/2010

Ein Vorwärtskommen scheint nicht möglich. Immer wieder stoßen die vier Performer auf Hindernisse, die sie zu einem Richtungswechsel zwingen. Zwar sind es nur symbolische Hindernisse in Form kleiner Hölzchen, die ein anderer wie einen Code nach und nach auf dem Boden auslegt. Doch sie scheinen unüberwindbar. Warum das so ist, erfährt man in dem Stück nicht. Wie in einer Endlosschleife bewegen sich die Akteure in meist roboterhaft wirkenden Bewegungen durch das Stück.

Der argentinische Choreograf Bernardo Coloma verbindet in seiner Performance „Run dry # 3“ Tanztheater, Musik und Live-Video. Inhaltlich geht es um Migration, um das Verlorengehen und Wiederfinden von Identität und kultureller Herkunft. Dazu bringen die Akteure aus Argentinien, Polen, USA, Belgien und Deutschland ihre Vita ein, erzählen am Mikro in ihrer Sprache von Wesentlichem und Unwesentlichem. Auch die Musiker (Florian Bergmann/ Klarinette, Hannes Lingens/ Akkordeon und Matthias Müller/Posaune), die auf der Bühne präsenter als die Performer wirken. Sie erzählen mit ihren Instrumenten mehr als die Performer mit ihren Bewegungen, aus denen nur einmal wirklich Tanz entsteht. Absurde Positionen nehmen die Musiker ein, lassen liegend das Akkordeon schnaufen, wippend die Posaune keuchen und gebeugt die Klarinette jammern. Dabei werden sie von den vier Performern gestützt und gehoben, gelegt und geschoben, so dass man sich gelegentlich an eine dadaistische Aktion erinnert fühlt.

Es ist nicht einfach, die Bedeutung der einzelnen Szenen zu entschlüsseln, die selten konkrete Aktionen, dafür oft abstrakte, unzusammenhängende Handlungen zeigen. Im Kontext des Themas kann das Zerbröckeln von verbranntem Holz wie ein Aufgeben der Heimat wirken. Mit der Asche wird gemalt, mit Wasser ein Kreis gezogen, die Hölzchen geworfen. Den roboterhaften Bewegungen folgen verknotete Gliedmaßen eines Paares. Disparate Szenen, die der Zuschauer selbst zusammenfügen muss. Schnell fühlt man sich dabei überfordert. Dann wieder fast poetische Momente: Jeder gibt ein Stück von sich, Jacke, Ausweis, Buch. Auf die Leinwand projiziert entsteht ein Stillleben bedrückender Einsamkeit. Und wenn später ein Vogelschwarm in kaltem Winterlicht dahinzieht, ist Nietzsches „Vereinsamt“ nicht weit. Es ist vor allem der Verlust der Heimat, von dem Coloma auf eine knappe, fast schon lakonische Weise ohne jegliche Sentimentalitäten erzählt. Sentimental wird es nur kurz zum Schluss, wenn die Sopranistin Tatjana Kiliani live (!) in glasklarem, höhensicherem Koloratursopran die Arie der Amina aus Bellinis Oper Sonnambula einfühlend und grandios singt. Aber auch die handelt von Einsamkeit.

Eigentlich ist „Run dry # 3“ nicht die dritte, sondern erst die zweite Version von Colomas Stück „Run dry“, das 2009 in New York uraufgeführt wurde. Es war der Beginn eines fortdauernden Recherche-Prozesses zum Thema Migration. Version # 2 scheint dem dialektischen Suchprozess zum Opfer gefallen zu sein. Version # 3 jedenfalls steuert konsequent auf Nietzsches Strophe „Weh dem, der keine Heimat hat“ zu.

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