„Zugvögel“ – ein Ballett extra mit Jiří Kylián

Erste Einblicke

München, 24/04/2009

Jiří Kylián für ein neues, gar abendfüllendes Ballett zu bekommen ist schon Glück! Der begehrte Tscheche war zehn Tage vor der Premiere seiner „Zugvögel“ im Probenstudio vor etwa 100 Zuschauern voll von Komplimenten für die „wunderbare Kompanie“ des Bayerischen Staatsballetts. Er habe weltweit mit sehr vielen Kompanien gearbeitet, aber diese hier beeindrucke ihn auch mental durch ihre Offenheit für Neues. Ihren Chef Ivan Liška kenne er schon seit 100 Jahren: „Damals haben wir am Prager Konservatorium zusammen studiert, ich war der etwas ältere, er der begabtere.“ Die „Zugvögel“ – auch das sei besonders an dieser ganz besonderen Produktion – seien sein Schwanengesang. So schließe sich auch dieser Kreis. „Jedenfalls ist dies mit Sicherheit mein letztes Stück in dieser Größe.“ Dann wies er dem beginnenden Abend das Milieu der Praxis zu und bekannte, indem der Schalk ihm aus den Augen blitzte: „So ein Einblick in ein entstehendes Werk, in dem noch keiner richtig weiß, was er zu tun hat, und jeder sieht, was ich noch korrigieren muss, ist für Sie natürlich ganz toll, für mich aber einfach sch...!“. Mit unprätentiösem Charme prägte er den Verlauf des Abends, beispielsweise als er nach der Vorstellung der einzelnen Tänzer durch Ivan Liška selbstironisch-stolz feststellte: „Die Tschechen sind deutlich in der Überzahl!“ Zwei waren es wohl, bei einer 70-köpfigen Kompanie aus 32 verschiedenen Nationen eher ein Durchschnittswert. Kylián hat sich und Ivan Liška wohl mitgezählt.

Schon das erste Duett von Maira Fontes und Mohamed Youssry bot den Genuss der Wiedererkennung seines typischen Vokabulars: Schwungvolle Drehungen und verschlungene Hebungen mündeten in eine Counterbalance, ehe Youssrys Füße knapp am Kopf der Partnerin vorbei sausten. Dazu merkte Kylián an: „Wir Menschen sind Scharnierenwesen. Stellen Sie sich vor: Im Bruchteil einer Sekunde muss der Körper eine komplexe Figur machen. Wie viele Impulse müssen da vom Gehirn ausgehen! Unser Körper kann eigentlich nur runde Bewegungen machen. Um eine Gerade zu kreieren, müssen sehr viele andere Gelenke zum Ausgleich beitragen.“ Und aus dem Nachdenklichen kippte er gleich wieder ins Humorvolle: „Die Aufgabe eines Choreografen ist es, dem Tänzer die Akzeptanz des eigenen Körpers näher zu bringen. Eine große psychologische Aufgabe! Choreografen sind aber schlimme Amateure: Es gibt keine Schule, in der sie ihren Beruf erlernen könnten!“ Er illustrierte, wie zufrieden ein Normaler sich nach dem Aufwachen vor dem Spiegel sieht, und setzte den Kontrast eines Kritischen dagegen, der Ansprüche an seinen Körper stellt – den gar, dass er Kunst präsentiere! Im zweiten Duett brachten Zuzanah Zahradníková und Lukáš Slavický bei noch mehr Schwung das schnelle Schlagen der Beine in der Luft dazu. Als Dritte weckten Roberta Fernandes und Javier Amo Gonzalez abwechselnd mit wirbelnden Rotationen auf dem Boden und in allen denkbaren Etagen Begeisterung, ehe ein Quartett (Stephanie Hancox, Sophia Carolina Fernandes, Tigran Mikayelyan und Karen Azatyan) die beeindruckende Dynamik aufnahm und zumindest in den Sprüngen der beiden Armenier noch steigerte. Cyril Pierre und Emma Barrowman steuerten zu Walzermusik humoristisch gefärbte Theatralik und ganz schnelle Schrittkombinationen bei, während bei Alen Bottaini und der jungen Gözde Özgür äußerst vertrackt angesetzte Hebungen mit ihrer schwungvollen Organik faszinierten.

Was man in der ersten halben Stunde zu sehen bekam, war spektakulär und lässt choreografisch viel erwarten. Kylián aber war zum Spaßen aufgelegt und erzählte, sogar schwäbelnd, eine Anekdote aus einer Ballettwerkstatt John Crankos, bei dem er als Tänzer anfing, was man ihm nun ja – nicht mehr ansehen könne: Wie Cranko an Marcia Haydée eine wunderbare klassische Arabeske demonstrierte und dann, als er einen Mann aus dem Publikum bat, das nachzumachen, dieser das noch besser machte und ihm eine choreografische Lektion im Finden neuer Formen gab. Dann folgten Analyse und Korrektur der vorgestellten Teile. Dadurch konnte man sich gut vorstellen, wie und was bis zur Premiere auf der großen Bühne noch „geputzt“ wird. Mit nicht einmal einer Stunde Dauer war dieses Ballett extra eines der kürzesten und gehörte zu den besten!

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