Vom Highschool-Rock'n'Roller zum Ballett-Erneuerer und Jahrhundert-Choreografen

William Forsythe zum 60. Geburtstag

München, 30/12/2009

Vom Highschool-Rock'n'Roller zum Ballett-Erneuerer und Jahrhundert-Choreografen - das ist die Karriere von William Forsythe. Der gebürtige New Yorker brachte eine außergewöhnliche musikalisch-motorische Begabung mit - keiner von seinen Tänzern kann Bewegung so spannend phrasieren wie er. Sein Interesse für Bewegung ist bis heute wach geblieben, aber auch sein Gespür für die Veränderungen der Zeit.
Wenn bei Forsythe zunächst die Neoklassik seines großen Vorbildes George Balanchine lediglich sportlich verschrägt fortgeschrieben wurde, so musste sie zwangsläufig in immer unkenntlichere Bruchstücke zerfallen. In den 1980er Jahren war nichts mehr so heil, dass jemand wie Forsythe „Schwanensee“-Märchen in weißen Tüllröckchen choreografieren konnte.

„All our work, it does not matter how, appears in a political context. It is in culture, and culture is a political category.“ Alle unsere Werke, so Forsythe vor Jahren in einem Interview, entstehen in einem politischen Kontext, sind Teil der Kultur. Und Kultur ist eine politische Kategorie.
Forsythe hat den Tanz- und Bewegungstheoretiker Rudolf von Laban studiert, aber auch die Sprach- und Gesellschaftsphilosophen Wittgenstein und Foucault gelesen, hat sich in der zeitgenössischen bildenden Kunst umgetan. Seine Stücke spiegeln unmittelbar ein sich wandelndes Kultur- und Kunstverständnis: bizarre Objekte statt illustrierendem Dekor, schlichte Trikots oder gar Trainingskleidung statt Kostümen, zwischen den Tanzsequenzen geflüsterte oder gekreischte Texte, düsteres Lichtkunst-Design und, zur nachhaltigen Illusionszerstörung, ein mitten in einer Szene herabknallender Vorhang.

Harter Schnitt auch in der Musik: statt Mahler, Vivaldi und Henze, wie noch in den ersten Stücken, verwendet Forsythe meist elektronische Geräuschkompositionen, vorwiegend von dem Holländer Thom Willems.
Die Brüche, die Verweigerungen, die akustische Provokation, die Bühnenpräsentation bewusst als Nicht-Fertiges, als Arbeitsprozess, all das haben die nachgewachsenen Choreografen längst übernommen - und die Zuschauer als Konvention akzeptiert.

Aber Forsythe ist auch ein ewiger Sucher. Er will den menschlichen Körper nach noch mehr möglichen Bewegungen ausforschen, immer neue Bewegungsstrukturen im Raum finden. Und diese auch multimedial sichtbar machen. Seine pädagogisch konzipierte CD-Rom mit Improvisations-Techniken von 1999 wird nun weiter ausgebaut mit „Synchronous Objects“, einem digitalen Projekt, das er dieses Jahr gemeinsam mit dem Computer Center der Ohio State University realisierte.

Als Beispiel wurde eine 15-minütige Gruppen-Choreografie von Forsythe aufgezeichnet. Und zwar so, dass man sich per Mausklick eine Tanzsequenz aus verschiedenen Perspektiven ansehen kann, zum Beispiel in Nahaufnahme oder von oben. Oder solche Bilder, wo die peripheren Spuren einer Bewegung mit farbigen Linien und Halbkreisen markiert sind. Ob sich dadurch, wie anvisiert, Forsythes höchst komplexe Strukturprinzipen tatsächlich leichter dechiffrieren lassen oder ob es eher nur eine schöne architekturale Computer-Spielerei ist, möchte man erst einmal offen lassen.
Im gleichen Atemzug wurde auch eine neue Tanznotation entwickelt, mit der sich Forsythes Choreografien rekonstruieren lassen. Aber, wie es heißt, auch ganz andere choreografische Handschriften. In den nächsten drei Jahren dürfen die belgische Tanzfrau Anne Teresa de Keersmaeker und zwei weitere Choreografen das System erproben. Diese Erprobungsphase wird von der Kulturstiftung des Bundes mit 1,4 Millionen Euro gefördert. Klingt alles sehr positiv.

Aber: kann Forsythes digitale Tanz-Partitur tatsächlich die bisher praktikablen Tanznotationen von Rudolf von Laban und die des britischen Ehepaares Benesh ersetzen? Kann ein Choreograf - ohne die mehrjährige spezielle Ausbildung zum Choreologen - die Forsythe-Notation überhaupt lesen? Er soll, so die Information, die Software gratis erhalten, wenn er bereit ist, seine Choreografie der dafür eingerichteten „Motion Bank“, einer digitalen Bibliothek, zu überlassen. Was wiederum eine Reihe urheberrechtlicher Fragen aufwirft. Denn auch Tanzwissenschaftler und eine Fachöffentlichkeit sollen Zugang zur „Motion Bank“ haben.
Wie immer das Projekt am Ende ausgehen wird - mit William Forsythe, auch mit 60, bewegt sich was im Tanz.
Wer sich für Forsythes Computerprogramm interessiert, findet es unter synchronousobjects.osu.edu

Biografische Daten: Drei Jahre tanzte der gebürtige New Yorker William Forsythe im New Yorker Joffrey Ballett. 1971 zieht es ihn nach Deutschland. Er wird Mitglied in John Crankos illustrem Stuttgarter Ballett und nach ersten Choreografien (1976 „Urlicht“ zu Musik von Mahler, 1977 „Flore Subsimplici“ zu Vivaldi) gleich Hauschoreograf des Ensembles. Sein ungewöhnliches Talent, seine neue gebrochene Neoklassik erregen schnell international Aufsehen. Forsythe choreografiert in den folgenden Jahren für das renommierte Nederlands Dans Theater, für die großen Ballettensembles in Paris, New York, San Francisco, für Wien, Basel, Berlin, Frankfurt und München. Für eine Gala an der Bayerischen Staatsoper kreiert er 1979 das schmissige Pop-Ballett „Love Songs - alte Platten“.

Ein Jahr später will man ihn hier in München sogar als Ballettchef. Stattdessen übernimmt Forsythe 1984 das Frankfurter Ballett, ein klassisches Ensemble, das er im Lauf der Zeit total auf seine postmoderne Linie hin umkrempelt. Und sein Stil prägt die gesamte nachwachsende Choreografen-Generation.
Seit 2005 (nach der Schließung des Ballett Frankfurt 2004) leitet er seine private, von Dresden und Frankfurt und den Ländern Sachsen und Hessen getragene Forsythe Dance Company, mit der er im Festspielhaus Hellerau in Dresden, im Frankfurter Bockenheimer Depot und auch weiterhin an internationalen Spielstätten präsent ist.
Am 30.12. feierte William Forsythe seinen 60. Geburtstag.

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