Warum nicht Meryl Tankard?

Die australische Choreografin ist die einzige, die das Tanztheater Wuppertal in eine kreative Zukunft führen könnte

Wuppertal, 23/07/2009

Die deutsche Tanzszene – voran natürlich die Medien – sorgt sich um das Erbe der Pina Bausch. Was wird aus den Stücken der genialen Choreografin, was aus ihrem Ensemble, dem Tanztheater Wuppertal? Natürlich besteht Einigkeit darüber, dass die Kompanie fürs erste zusammen bleiben muss; schließlich sind die nächsten beiden Spielzeiten – wie immer mit Tourneen rund um den Erdball - seit längerem nicht nur geplant, sondern weitgehend auch vertraglich fixiert. Dass der Nachlass, das vermutlich nicht unbeträchtliche Vermögen der Choreografin wie die Tantiemen, die ihre Stücke – deren Rechte seit Jahren vom Pariser Verlag L’Arche vertreten werden - künftig erbringen werden, an ihren erwachsenen Sohn Rolf Salomon fallen werden, ist wohl unstrittig; wie man hört, existiert kein Testament, und mit dem Vater ihres Sohnes war Pina Bausch nicht verheiratet.

Auch über das vorläufige künstlerische Führungsteam des Tanztheater-Ensembles scheint man sich in Wuppertal weitgehend einig zu sein. In ihm könnten Dominique Mercy, das letzte verbliebene Ensemble-Mitglied der ersten Stunde, ebenso eine Rolle spielen wie der langjährige Probenleiter Robert Sturm, auch die Tänzerin Josephine Ann Endicott und die Kostümbildnerin Marion Cito wären in diesem Team denkbar. Die Süddeutsche Zeitung berichtet, auch Peter Pabst, seit dem Tod von Bauschs Jugendliebe Rolf Borzik Anfang der achtziger Jahre der ständige Bühnenbildner von Bauschs Stücken, habe „Anspruch auf einen Führungsposten im Tanztheater“ erhoben und die Mitglieder des Tanztheaters gefragt, „ob sie ihn wollen, und wenn ja, ob sie sich für ihn beim Beirat und bei der Stadt verwenden würden“. Warum auch nicht? Da mag es durchaus noch ein gewisses Gerangel geben. Aber prinzipiell ist allen Genannten durchaus zuzutrauen, dass sie an einem Strick ziehen und sowohl das Ensemble als auch das umfangreiche Repertoire des Tanztheaters noch eine gute Weile in Schuss halten würden. Schließlich existieren von allen Bausch-Choreografien Video-Aufzeichnungen, und auch wenn man sich daran erinnert, dass bei früheren Rekonstruktionen älterer Stücke anhand eines Videos die Choreografin gelegentlich selbst nicht wusste, ob in einer bestimmten Szene vier oder fünf Darsteller zu sehen waren, sollte die Existenz der meisten Stücke – so schwierig ihr Erhalt angesichts der Fülle unkonventioneller Einfälle auch sein mag – für einige Zeit gesichert werden können.

Nur: das gilt alles nur für den Erhalt des Bestandes. Eine Weiterentwicklung von Bauschs künstlerischem Erbe kann kein aus Bauschs altem Umfeld gebildetes Führungsteam leisten – wie immer seine Zusammensetzung auch sein mag. Da braucht es einen hochklassigen kreativen Choreografen, der möglichst auch noch mit der Wuppertaler Bausch-Tradition vertraut sein sollte. In diesem Zusammenhang drängt sich ein Name förmlich auf: der der Australierin Meryl Tankard; sie wäre befähigt, das Tanztheater Wuppertal in eine kreative Zukunft führen. Tankard hat dem Tanztheater Wuppertal in seiner besten Zeit sieben Jahre lang angehört. Sie war eine der besten Darstellerinnen, die das Ensemble je hatte, und hat in ihrer Wuppertaler Zeit viele große Rollen aus der Taufe gehoben. Sie weiß also, worum es in Bauschs Stücken geht und wie man Bauschs Rollen ausfüllt. Aber als sie dann Wuppertal verließ und in ihre australische Heimat zurückging, hat sie sich zu einer ganz eigenständigen Choreografin von Format entwickelt. In der ganzen Welt haben sich Tanzmacher und Tanzmacherinnen von Pina Bausch ästhetisch beeinflussen lassen. Nur Tankard, die jahrelang mit Bausch zusammengearbeitet hat, verstand es, sich von diesem Einfluss völlig frei zu halten. In ihren Stücken – wie „Banshee“, „Kikimora“, „Nuti“, „Songs with Mara“, „Furioso“, Possessed“, der grandiosen abendfüllenden „Dornröschen“-Version „Aurora“ – wird nicht nur getanzt, sondern auch gesungen und geflogen: auf eine Weise, die von dem von Pina Bausch gepflegten Stil denkbar weit entfernt ist.

Doch entwickeln Tankards Stücke eine durchaus vergleichbare Phantasie und Originalität. Vor ein paar Jahren – Tankard hatte, weil sie ihrem Aufsichtsrat zu groß geworden war und sich nicht zu einer australischen Provinzgröße zurecht stutzen lassen wollte, gerade die Leitung des Australien Dance Theater verloren – hätte die Australierin schon einmal eine deutsche Tanzkompanie übernehmen können. Doch weder Mannheim noch Heidelberg sagten ihr zu. Den Ruf nach Wuppertal könnte sie nicht ablehnen. Er böte ihr wie dem Tanztheater Wuppertal eine neue Chance: Mit Meryl Tankard könnte das Tanztheater Wuppertal seinen überragenden Standard halten, ohne die Erinnerung an Pina Bausch und die sorgsame Pflege ihres Erbes aufzugeben.

www.meryltankard.com www.pinabausch.de 
 

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