Übermut tut gut

Wiederaufnahme von Frederick Ashtons „La fille mal gardée“

Stuttgart, 27/02/2009

An diesem Ballett scheiden sich die Geister. Wer die klaren, abstrakten Linien der Neoklassik oder gar Zeitgenössisches liebt, für den stellt das „Schlecht behütete Mädchen“ mit seiner ländlichen Idylle die Überdosis an pastellfarbener Süßigkeit dar. Der kubanische Tanzstar Carlos Acosta schildert in seiner Autobiografie, wie er angesichts von tanzenden Hühnern, einem Zwergpony und vor allem seiner bananengelben Strumpfhose spontan das Tanzen aufgegeben wollte. Immerhin diese Hosenfarbe wurde in Stuttgart entschärft, ansonsten sieht hier man die gleiche „Fille“ wie fast überall auf der Welt 

Frederick Ashtons luftig-leichte Version des über 200 Jahre alten Werkes ist das ultimative Familienballett, ideal geeignet nicht nur für Kinder, sondern auch für sonstige Balletteinsteiger, mit virtuosem Schwung choreografiert, liebevoll inszeniert und nicht eine Minute langweilig. Das ländliche Personal schwebt hier mal nicht ins ballettübliche Geisterreich ab, sondern hat ganz bodenständige Sorgen: Das Mädchen Lise will den ihr zugedachten reichen Bauerntölpel nicht heiraten und trickst ihre strenge Mutter nach allen Regeln der Kunst aus. Passend dazu kringeln sich aus dem fröhlichen Musikarrangement von Louis Joseph Ferdinand Hérold und John Lanchbery immer wieder Melodien von Rossini und Donizetti ins geneigte Ohr. Zugegeben, man braucht schon einen recht britischen Humor, um über die ironischen Tupfer in Osbert Lancasters gemaltem Bühnenbild, die karikierten Ahnen an den Wänden und die Kuh-Hinterteile lachen zu können, oder über die zwitschernden Vögel und krähenden Hähne aus dem Orchestergraben. Aber wer könnte den so kunstvoll arrangierten Reigen und Girlanden, den flatternden Bändern, dem übermütigen Erntetanz samt Maibaum oder dem Holzschuhgeklapper widerstehen? „Die Gruppentänze gehören zu den am besten ausgearbeiteten, die Ashton jemals choreografiert hat“, wird Alastair Macaulay im Programmheft zitiert (wobei es doch nachdenklich stimmt, dass man beim Stuttgarter Ballett weder den Namen dieses bekannten Tanzhistorikers, Ashton-Fachmanns und Cheftanzkritikers der New York Times, noch den von Nadia Nerina, der Uraufführungs-Lise, oder den von Antoinette Sibley korrekt schreiben kann).

Zuletzt stand der unverwüstliche Klassiker vor sieben Jahren auf dem Stuttgarter Spielplan, heute wie damals tupft Filip Barankiewicz als Colas seine sensationellen Sprünge geradezu übermütig in die Luft, dreht seine letzte Pirouette im Bauernhaus schier endlos lange. Neu an seiner Seite ist Katja Wünsche als liebenswerte Titelheldin mit einer deutlichen technischen Steigerung gegenüber ihrem verunglückten Balanchine (wenngleich sie nie die leichtfüßige, hochfliegende Virtuosin sein wird, die sich Ashton hier vorgestellt hat), mit klugen, auf den Punkt ausgearbeiteten Pantomimen und endlich mal wieder sichtbarem Spaß an ihrem Part. Ein wenig zu jung, ja im Grunde viel zu hübsch für die Abräumer-Rolle der robust-koketten Mutter Simone wirkt Alexander Zaitsev, er blüht erst mit seinem Holzschuhtanz so richtig auf und fängt dann auch an, mit seiner Rolle zu spielen. Den Publikums-Urschrei des Abends ertanzte sich Tomas Danhel, der als tumber Brautwerber in einer besonders goldigen Mischung aus Charakterkomik und subtilstem Timing durch seine Slapstick-Einlagen hüpft, turnt oder schwirrt und aus dem Tölpel Alain einwandfrei den Sympathieträger der Aufführung macht.

Wenn der frische Jugendcharme von Ashtons Inszenierung nicht ganz so übermütig von der Bühne strahlte wie dereinst bei ihrer Stuttgarter Erstaufführung, dann ruht unsere Hoffnung auf den nächsten, jüngeren Besetzungen – schon damals im Jahr 2000 hatte Reid Anderson die Hauptrollen an blutjunge Gruppentänzer wie Barankiewicz oder Friedemann Vogel vergeben, die später zu seinen Ersten Solisten aufstiegen. Als virtuoses Gute-Laune-Ballett ist die „Fille mal gardée“ ein Renner im Repertoire jeder großen Kompanie. Die eher zeitgenössisch orientierten Tanzfans in Stuttgart allerdings bräuchten als direkte Ergänzung dringend einen fetzigen modernen Abend, um nicht ganz vom Glauben abzufallen. Beim Stuttgarter Ballett aber ist die „Fille“ Auftakt zu einem halben Jahr voller Happy-End-Klassiker, es folgen lange Serien von „Dornröschen und „Der Widerspenstigen Zähmung“. Na wenn das kein Lächeln auf unsere Gesichter zaubert ...

Link: www.stuttgart-ballet.de

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