Sechs Männer auf allen Vieren

Olga Ponas „Male Identity“ im Tanzhaus NRW in Düsseldorf uraufgeführt

Düsseldorf, 25/04/2009

In den beiden letzten Stücken mit den schönen Titeln „Does the English Queen Know What Real Life is About?“ und „Nostalgia“, die Olga Ponas Chelyabinsk Contemporary Dance Theater vor einiger Zeit im Düsseldorfer Tanzhaus NRW präsentierte, beherrschten Klettergerüste die Szene. In Ponas neuem, aus den Stücken „Celestial Bodies“ und „Male Identity“ gefügten Programm ist die Bühne völlig leer. Doch ansonsten hat sich wenig geändert. Nach wie vor betätigen sich die sechs Damen und sechs Herren des russischen Ensembles mit gespreizten Beinen vor allem turnerisch, und die Musik, mit denen die Choreografin ihre gymnastischen Übungen begleitet, knarzt und dudelt und zischt, als suche jemand per schnellem Durchlauf im Radio ein Kurzwellenband ab.

Der Titel des vor Jahresfrist entstandenen „Celestial Bodies“ suggeriert eine himmelan strebende Bewegung. Doch tatsächlich spielt sich das tänzerische Geschehen recht bodennah ab. 50 Minuten lang wälzen sich sechs Damen und fünf Herren, gern in Dreiergruppen, über den Boden. Sie schieben sich über- und untereinander, haken mit den Füßen an den Gliedmaßen eines Partners ein und drehen ihn in eine neue Position. Oft und gern stehen die Frauen auf einem (dem rechten) Bein und strecken das andere über Schulterhöhe, während die Männer an Schnüren befestigte Kugeln durch die Luft wirbeln: immerhin etwas, das an Himmelskörper auf ihren kreisförmigen Bahnen erinnert. Fürs Finale begibt sich das komplette Ensemble hinter einen schwarzen Vorhang, der sich anscheinend – scheinbar? – mitsamt den Tänzern himmelwärts bewegt, ohne dass es wirklich zu einer Transzendierung reichte. Zu „Male Identitity“, das im Tanzhaus NRW seine Uraufführung erlebte, treten nur die sechs Männe des Ensembles an. Mit nacktem Oberkörper und zerschlissenen Jeans erobern sie sich die Szene auf allen Vieren; zum aufrechten Gang erheben sie sich erst in der zweiten Hälfte des 30-Minuten-Stücks.

Bei ihren Kriech-Akten beweist die Choreografin nicht wenig Phantasie: lässt ihre Männer auch schon mal eine Brücke bauen und mit der Vorderseite nach oben akrobatisch herumtapsen. Auch bei jenen Posen, die ihre Tänzer immer wieder mal kopfunten mit hoch erhobenen Beinen zeigen, ist Pona eine gewisse Phantasie nicht abzusprechen. Es gibt Kopfstände, Schulterstände und Ellbogenstände; die Identität des russischen Mannes besteht offensichtlich in einer devoten, kriecherischen, möglicherweise als untertänig anzusehenden Haltung. Gegen Ende kommt ein Bruch ins Stück. Nach einer kurzen Sequenz, in der die Tänzer ein Feuerwerk aus Luftschlangen entfachen und ein Video auf der Rückwand Feuerwerksraketen explodieren lässt, marschieren Ponas Männer aus dem Bühnenhintergrund nach vorn und präsentieren sich dabei, nun auch mit bunten Jacken bekleidet, deren sie sich lässig entledigen, wie Models auf dem Laufsteg. Am Ende haben sich die anfangs zerlumpten Gestalten mithilfe schwarzer Jacketts sogar in seriöse Geschäftsleute verwandelt, und der Zuschauer hat, wenn’s keine Überinterpretation ist, etwas wie ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung im nachkommunistischen Russland gesehen – auf jeden Fall aber, obwohl das weibliche Element fehlte, ein weit amüsanteres Stück als das der „Celestial Bodies“, das der „Male Identity“ vorausging.
 

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