Rückblicke

Jerôme Bels „Lutz Förster“ und Fabian Barbas „A Mary Wigman Dance Evening” im Rahmen des Tanzkongresses auf Kampnagel

Hamburg, 09/11/2009

Kein Moment ist hektisch, wuselig, quirlig – ruhig vollführen Fabian Barba und Lutz Förster ihre Auftritte. Der eine zelebriert die nachgestellten Tänze der Mary Wigman, als seien sie heilige Rituale, der andere agiert gewissermaßen trocken mit minimalen Steigerungen – und offenbart die weitaus größere Bühnenpräsenz kraft seiner beeindruckenden Persönlichkeit. Försters gesprochene und getanzte Autobiografie (mit Jerôme Bel erarbeitet) steht im Heute, Barbas Rekonstruktion im Vorgestern, vom Zeitlichen – er wählte Wigman-Stücke aus den 20er Jahren aus – wie vom Inhaltlichen, vom Bewegungsmaterial her. Der hoch gewachsene Förster – volle weiße Haare, profilierte Nase, gedeckter Anzug, ein kleiner Bauch ist im Profil zu sehen – demonstriert Entschleunigung, gewollte Langsamkeit: Konzentriert vollzieht er, jahrzehntelang Mitglied im Ensemble der Pina Bausch, Szenenwechsel bei ständig gleich bleibender Beleuchtung. Gelassen holt er das Mikrofon mit Ständer heran, platziert den Stuhl an einer anderen Stelle, bindet sich einen Schlips um, zieht die Hose hoch oder setzt den Hut auf. Und bringt jedes Tanzsolo, jede Episode auf den Punkt.

Dadurch wirken selbst seine Anmerkungen über den Tod seines Lebensgefährten nicht peinlich privat, zeigen vielmehr, wie Privates unausweichlich mit dem Beruflichen eines sehr wachen Tänzers verschmilzt: zwei Seiten einer Medaille. Die Faszination der Kunst des „alten“ Förster (geb. 1953) besteht in seiner Fähigkeit, über minimale Bewegungen die komplette Substanz eines Solos zu vermitteln. Wie bei der Figur des Jago in José Limons „Moor’s Pavane“, der er eine perfide, gefährliche Aura verleiht. Mit suggestiven Blicken, einer Drehung des Kopfes, dem Positionswechsel des Körpers lässt er Desdemona, Othello und Jagos Frau vor dem inneren Auge erstehen. Ganz im Banne der Darstellung bleiben die Zuschauer am Ende stumm, spenden keinen Beifall, den sie nach den übrigen Soli reichlich hören lassen… In weiten zeitlichen Sprüngen zeichnet Förster seinen Werdegang nach. Vom Studium an der Folkwanghochschule ab dem 21. Lebensjahr – da hätte ich mir mehr Einblicke gewünscht, wie er seinen für Tänzer nicht mehr jungen Körper in die Form gezwungen hat – über die Tätigkeit in Bauschs Ensemble (Wuppertal), das Tanzen in der José Limon Company, dem Wechsel zum Unterrichten, der Arbeit mit Robert Wilson. Immer wieder streut er Tanzsoli ein. Zu Gershwins „The Man I Love“ (gesungen von Sophie Tucker) tanzt er den Text mit Händen und Armen in der Gebärdensprache, deren Gesten in der Interpretation Försters tief berühren. Oder er führt vor, was ihm zu Bauschs Aufforderung „praise an object“, eingefallen ist: eine sehr witzige, hochpoetische Ansprache an einen, den Stuhl. Zwischendurch nimmt er einen Schluck aus der Wasserflasche. Noch ein Solo, das er von Pina Bausch übernommen hat, eines als Entertainment mit Hutspielereien, ein weiteres aus Wilsons „Cosmopolitan Greetings“ mit dem Wechsel der Kleidungsfarbe von Schwarz auf Weiß, während er im Zickzack über die Bühne tanzt – und dann gelangt er zu Jerôme Bel, und ist am Ende. Lutz Förster, Professor an der Folkwanghochschule, hat unaufgeregt, aber desto eindrücklicher vermittelt, dass ihm Tanzen eine Berufung ist.

Die historische Querverbindung zu Barbas „Mary Wigman“ führt zurück über mehrere Stationen: Förster – Bausch – Jooss – Wigman. Barba hat nichts weniger unternommen als Tänze der Pionierin des deutschen Ausdruckstanzes zu rekonstruieren, die in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Zum Thema gehören nach Barba „unvermeidliche Modifikationen vom Original und die Einschreibung von Konzepten der Moderne in den Körper des Tänzers“. Das habe ich nicht erkennen können, vielmehr schien es mir eine ziemlich „wortgetreue“ Übernahme zu sein ohne Erweiterung zur Moderne. Die kurzen Szenen aus dem Zyklus „Schwingende Landschaft“ (1929), aus den „Visionen“ (1928 und 1925) sowie der „Feier“ (1926) verharren im weihevollen Ablauf, sind gekennzeichnet durch wechselnde, farblich akzentuierte Kostüme und unterschiedliche Beleuchtung. Wigman nutzt sehr viel Arme (oft pathetisch) und Hände (oft mit Drehung), begnügt sich mit dem Schreiten auf flacher Sohle, mit Drehungen durch Umsetzen der Füße (wie Derwische), spielt zur Verstärkung mit den/dem Schatten durch die Beleuchtung. Steigerungen bleiben quasi im Anlauf stecken, Sprünge sind die große Ausnahme, dynamische Wechsel ebenso. Nach der jeweiligen Abschlusspose folgt das Blackout, dann erscheint Barba im Spot und nimmt hoheitsvoll wie ein Priester die Huldigungen des Publikums entgegen. Am muskulösen Körper von Barba wirken die sorgfältig erstellten Röcke und Gewänder nicht weibisch, eher unterstreichen sie die androgyne Ausstrahlung, balancieren allerdings wie auch die Bewegungen oft am Rande des Lächerlichen. Langeweile durch bald vorausschaubare Abläufe stellt sich ein, nachdem der Reiz des Ungewohnten verflogen ist. Zu bewundern ist die offenbar detailgenaue Rekonstruktion durch Barba, die einen Blick in die Zeit öffnet, in der der Ausdruckstanz sich in Deutschland durchsetzte. Jedoch wird auch offenbar, dass, unbeschadet des weltweiten Einflusses und der Impulse, die unter anderem von Wigman ausgingen, dieser Stil ohne radikale Weiterentwicklung wegen seiner technischen und künstlerischen Begrenztheit keine Zukunft hatte. Die Zeit ist über ihn hinweggegangen.

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