Ein Panorama französischen Tanzes des 20. Jahrhunderts

Lifar / Petit / Béjart im Palais Garnier

Paris, 03/02/2009

Drei Klassiker des 20. Jahrhunderts zeigt das Ballett der Pariser Oper zu Beginn des Jahres im Palais Garnier und knüpft damit an den Erfolg des Béjart-Abends am Ende des letzten Jahres in der Opéra Bastille an. Wieder gibt es Béjart, doch diesmal folgt sein Werk auf Stücke zweier weiterer Choreografen, die den französischen Tanz des letzten Jahrhunderts geprägt haben: Roland Petit und der hierzulande weniger bekannte Russe Serge Lifar, langjähriger Direktor des Balletts der Pariser Oper.

Lifars „Suite en Blanc“ aus dem Jahr 1943 wurde bei dieser Premiere zum 408. Mal aufgeführt und die anhaltende Popularität des Werkes ist wenig erstaunlich: in dem Stück, das als Hommage an die französische Schule gilt, zeigt sich die Kompanie von ihrer besten Seite. Weder das wie ein Versailler Garten symmetrisch gruppierte Eingangsbild noch das Finale, das wie ein getanztes Défilé des Corps de ballet wirkt, verfehlen beim Publikum je ihre Wirkung – dies liegt nicht zuletzt an Edouard Lalos „tanzender“ Musik, die der Komponist 1882 für ein ephemeres Ballett mit dem Titel „Namouna“ schuf. Lifar kreierte darauf eine abstrakte Abfolge von Variationen, Pas de Deux, Pas de Trois und Pas de Cinq, die dem Choreografen zufolge „eine wahre Parade der Technik, eine Bilanz der Entwicklung des akademischen Tanzes“ darstellen und dennoch von Lifars persönlicher Handschrift geprägt sind – an dieser fallen hier besonders die ungewöhnlichen Armhaltungen auf. Das Ballett der Pariser Oper, das sich sichtbar in diesem Stil zuhause fühlt, tanzte das Stück mit Präzision und Überzeugung. Trotz sehr guter Besetzung wurden allerdings nicht alle Tänzer entsprechend ihrer Fähigkeiten eingesetzt: so schien beispielweise Mathilde Froustey noch etwas überfordert für eine Premierenbesetzung des Pas de Cinq. Besonders souverän hingegen zeigten sich Aurélie Dupont im Adagio und Agnès Letestu als majestätische „Cigarette“. Zudem gab es einige erfreuliche Rollendebüts, wie das von Dorothée Gilbert im Pas de Trois oder Mathieu Ganio in der Mazurka.

Das zweite Stück des Abends, Roland Petits „Arlésienne“ aus dem Jahr 1974, wurde 1997 in das Repertoire des Balletts der Pariser Oper aufgenommen und seither bereits siebenundfünfzigmal aufgeführt. Auch hier handelt es sich um ein Juwel des Repertoires, in dem sich Musik, Bühnenbild, Kostüme und Choreografie zu einem dramaturgisch überzeugenden Ganzen fügen. Wie meistens bei Petit ist das Corps de Ballet eine Art Chor, ein einheitlicher Körper, der durch klare, expressive Gesten die Stimmung der ländlichen Umgebung visualisiert. Das farbintensive Bühnenbild im Stil von Van Gogh (nach René Allio) und die schmucklosen Kostüme (Christine Laurent) situieren das Stück in einer bäuerlichen Gesellschaft in Südfrankreich, wo die Sonne brennt und die Konventionen schwer wiegen. Aus diesen versucht der junge Frédéri auszubrechen, der seine schöne Geliebte aus Arles trotz ihrer Untreue und der Liebe der treuherzigen Vivette nicht vergessen kann. Petit gelingt hier in den Soli und Pas de Deux des Hauptpaares (die Arlésienne ist wie in Alphonse Daudets Stück, auf dem das Ballett basiert, nicht zu sehen) ein choreografischer Glücksgriff nach dem anderen. Clairemarie Ostas zarte Vivette hängt an ihrem Frédéri wie ein trauriger Schatten und zuckt und windet sich mit rührender Hingabe, bis sie am Schluss entsetzt vor dem Wahnsinn ihres Geliebten flieht. Jérémie Bélingard, ein fesselnd-rebellischer, gegen Ende rasender Frédéri, wird durch widerspenstig-abgehackte (im Umgang mit Vivette) oder rotierende, verzweifelnd ausreichende Gesten (in Momenten der Erinnerung) charakterisiert, und sein spektakulärer Sprung aus dem Fenster am Ende ist einer von Petits großartigsten „coups de théâtre“.

Kaum zu glauben, dass darauf ein noch unfehlbarerer Publikumserfolg folgt: Maurice Béjarts „Bolero“ zur Musik von Ravel aus dem Jahr 1961. In der Mitte, auf dem runden Tisch, ein Solist, Nicolas Le Riche, umgeben von einem zunächst immobilen männlichen Corps de Ballet. Ohne je zur Ruhe zu kommen, wiegt sich, springt und wirbelt Le Riche zum pulsierenden Rhythmus und der ondulierenden Melodie von Ravels „Bolero“, der sich in endlosen Wiederholungen ergeht, bis zum Rande des Zusammenbruchs. Die archaische Atmosphäre erinnert an Béjarts kürzlich von der Kompanie aufgeführten „Sacre du Printemps“: auch hier findet ein erotisches Ritual statt, auch dieses Stück lebt vor allem gegen Ende von den kraftvollen Gruppenformationen sowie der Musik, deren Crescendo Béjart optisch durch eine Vermehrung der Tanzenden auf der Bühne unterstreicht, bis sich schließlich im dem „Sacre“ auffallend ähnelnden Schlussbild alle um den Zeremonienmeister scharen. Doch im Gegensatz zum „Sacre“ überlebt dieses Stück müheloser durch seine relative Kürze und die Konzentration auf einen herausragenden Solisten. Ein Abend mit vielen Höhen und wenig Tiefen: zu empfehlen!

Noch zu sehen bis zum 14. Februar: www.operadeparis.fr

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