I did it my way – Die Tanzcompagnie Oldenburg hinterlässt Spuren
Jan Pusch choreografiert „Final Fiction“
Jan Pusch vertanzt den brutalen Konkurrenzkampf in „Friendly Fire“
Der Abend beginnt mit einer Planänderung. Das neue Stück von Jan Pusch gibt es nämlich in zwei Varianten. Einmal in rein männlicher, einmal in rein weiblicher Besetzung. Eigentlich sollten die Männer die Uraufführung bestreiten, doch eine Verletzung in letzter Minute führte dazu, dass die Frauen der Tanzcompagnie Oldenburg ihren großen Abend hatten. In verschiedenfarbigen Trägershirts und Trainingshosen betreten Pin-Chieh Chen, Alessandra Corti, Gili Goverman, Vivienne Hötger und Maria Walser die nackte Bühne, die nur von silbrigen Stangen umringt wird. Diese ragen vom Boden bis zur Decke und sind abwechselnd mit Neonleuchtröhren und Lautsprechern ausgestattet. Ein Dolbysurroundsystem für die Bühne, aus dem der Soundtrack bestehend aus Beats, Sprachfetzen und Naturgeräuschen von Beat Halberschmidt ertönt. Doch zunächst herrscht Stille. Die Tänzerinnen stehen im Raum verteilt, machen ein paar leichte Lockerungsübungen und warten. Eine von ihnen zieht mit Farbe eine weiße Linie um den äußeren Rand des Bühnenbodens. Erst in dem Moment, da sich die beiden Enden der Markierung wieder berühren, geht das Licht aus und die Musik an. Der Abend beginnt.
„Friendly Fire“ ist ein militärischer Begriff, der den Beschuss der eigenen oder befreundeter Truppen bezeichnet. Der Residenzchoreograf Jan Pusch ließ sich von diesem Begriff inspirieren darüber nachzudenken, wie wir nahestehenden Menschen schaden, um uns selbst einen Vorteil zu verschaffen. Leider bleiben seine Gedanken dazu in der Umsetzung sehr abstrakt. Hat er in seinem letzten Stück „Final Fiction“ viel mit szenischen Bildern und Sprache gearbeitet, steht in „Friendly Fire“ wieder ganz klar der Tanz im Vordergrund. Das führt allerdings dazu, dass selbst die enorme Ausdrucksfähigkeit seiner Tänzerinnen es nur in einigen Momenten schafft die Idee seines Themas verständlich zu machen. Wenn es gelingt, zeichnet sich ein erschreckendes Bild unserer Gesellschaft ab, in der jeder für sich allein kämpft. Wie armselig die Wenigen von uns sind, die noch für andere da sein wollen, führt Jan Pusch ebenso vor Augen wie die Rücksichtslosigkeit derer, die keine Skrupel haben ihre Pläne auf Kosten anderer durchzusetzen. Jan Pusch versteht es beispielsweise genau den Moment abzuwarten, in dem eine Tänzerin, der vermeintlich tröstend die Hand auf die Schulter gelegt wird, einen dankbaren Blick absondert, um dann hinterhältig niedergedrückt zu werden. Die sanfte Geste verwandelt sich in Brutalität. Sie verstellen sich zu ihrem eigenen Vorteil und sie sehen mit verschränkten Armen zu, wenn sich eine aus ihren Reihen am Boden windet.
Insgesamt findet keine wirkliche Entwicklung innerhalb des Stückes statt, doch immer dann, wenn die Tänzerinnen in ihrem Kampf um Macht und Anerkennung in Interaktion miteinander treten, wird es spannend. In akrobatischen Tänzen drücken sie ihre Machtspielchen aus. Das Ringen um Anerkennung wird hier bildlich. Die Frauen verknoten sich, springen übereinander, trampeln aufeinander herum und nutzen den Partner als Trampolin um selbst schneller, höher und weiter zu kommen. Jan Pusch behandelt das Thema mit großem Ernst. Von verspielter Ironie wie in seinem letzten Stück ist hier nichts zu sehen. Er führt dem Zuschauer schonungslos die brutale Rücksichtslosigkeit der Menschen vor Augen. Und so ermüdend dieser Kampf darum die Beste, Schönste, Erfolgreichste von allen zu sein auch ist, die Aggression verwandelt sich bei den Oldenburger Tänzerinnen in pure Energie und so tanzen sie bis an ihre körperlichen Grenzen und bis zur Erschöpfung. Dafür und für dieses ehrliche Statement zu unserer Erfolgsgesellschaft gibt es dann am Ende auch den verdienten und lauten Premierenapplaus.
Weitere Vorstellungen: 4., 18., 19., 28., 29. November 2009 und 8., 9. Dezember 2009
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