Jiří Kylián, die Anfänge beim Nederlands Dans Theater

„Svadebka“, „Symphony of Psalms“ und „Torso“ auf DVD

oe
Stuttgart, 08/06/2009

Eine höchst interessante Erfahrung: drei frühe Kyliáns aus seinen Anfängen beim Nederlands Dans Theater jetzt auf DVD: „Svadebka“ – das sind die Strawinskyschen „Les Noces“ (Paris 1923, uraufgeführt von Nijinska bei Diaghilew – von Kylián 1982 fürs NDT choreografiert, da war er also 35 und, vom Stuttgarter Ballett herkommend, seit 1977 dessen Künstlerischer Direktor), dann, ebenfalls von Strawinsky, die „Psalmensinfonie“ (1930, revidiert 1948, von Kylián 1978 beim NDT choreografiert) und „Torso“, ein Duo zu Musik des Japaners Toro Takemitsu, entstanden 1975. Alle drei sind Anfang der achtziger Jahre fürs Fernsehen produziert worden (Arthaus Musik, DVD 102 115, 68 Minuten) – alle in Zusammenarbeit mit Rainer Moritz, dem verdienstvollen Fernsehproduzenten in London, der nun schon so lange auf diesem Gebiet tätig ist, dass es mich wundert, warum er immer noch keinen Preis erhalten hat (schon jemandem aufgefallen, dass der Deutsche Tanzpreis noch nie einer Persönlichkeit des Fernsehens verliehen worden ist?).

Besonders interessant, diese frühen Kyliáns jetzt wiederzusehen – nach seinem Opus magnum, den „Zugvögeln“ – und sich zu vergegenwärtigen, welch eine enorme künstlerische Wegstrecke er seit den siebziger Jahren zurückgelegt hat. Bedenkt man, dass er, bei sich zu Hause in Prag ganz in der Tradition des klassisch-akademischen Tanzes aufgewachsen, der Strangulierung durch den sogenannten sozialistischen Realismus gerade noch im allerletzten Augenblick (1968) entkommen ist und sich seither in der ganzen Welt umgesehen und sich die vielfältigsten und gegensätzlichsten ethnischen Formen des Tanzes anverwandelt hat, können wir uns nur beglückwünschen, einen Choreografen von seiner Aufgeschlossenheit und seiner nicht nachlassenden innovatorischen Neugierde unter uns zu wissen. Was ich an ihm besonders bewundere, ist seine genuine Musikalität (kein Wunder bei seiner böhmischen Herkunft) und sein Sinn für architektonische Formen. Hinzu kommt eine energetische Triebkraft, die einmal in Gang gesetzt, unbeirrbar ans Ziel trägt. Von den Tänzerinnen und Tänzern des Nederlands Dans Theaters wird sie so umgewandelt, dass man den Eindruck gewinnt, es hier mit jener heutzutage so vielzitierten erneuerbaren Energie zu tun zu haben – einer Energie, die unmittelbar aus der Musik kommt. Welch ein fantastischer Gedanke: die Musik als unerschöpfliche Energiequelle des Tanzes! Ein Gedanke, der sich leider noch nicht bei allen Choreografen durchgesetzt zu haben scheint. Übrigens im Begleitheft ein exzellenter informativer Text von Vesna Mlakar.

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