I hate her. But I love her, too

Jo Ann Endicott schreibt über ihr schwieriges Verhältnis zu Pina Bausch

Düsseldorf, 03/03/2009

Im Winter 1978 spazierte ich mit der Tänzerin Jo Ann Endicott durch Wuppertal. Wir waren auf dem Weg zu einer Veranstaltung, auf der die Choreografin Pina Bausch den zweigeteilten Von-der-Heydt-Preis der Stadt Wuppertal erhalten und bei der ich die Laudatio halten sollte; natürlich unterhielten wir uns über Pina. Plötzlich machte mir Endicott ein Geständnis. „I hate her. But I love her, too“, bekannte die Tänzerin aus übervollem Herzen, und an dieser ambivalenten Gemütslage scheint sich auch dreißig Jahre später nichts geändert zu haben.

Endicotts neues, zweites Buch „Warten auf Pina“ beschreibt – neben ihrer Arbeit, früher als Tänzerin, beim Proben und bei der Einstudierung älterer Pina Bausch-Choreografien – vor allem einen Zustand geistiger Abhängigkeit, über den sich die Autorin durchaus im Klaren ist. Passagenweise schildert Endicott ihr Idol als eine ungeheure Egozentrikerin, eine monströse Domina, die alle Menschen benutzt, um ihre eigenen – hohen - Ziele zu erreichen: fast wie eine Spinne im Netz, die alles aussaugt, was in ihre Nähe kommt. Die Reaktion der Choreografin auf jene Kündigung, mit der sich Endicott – durch die Arbeitslosigkeit ihres Mannes in eine tiefe familiäre Krise geraten – in der Spielzeit 2002/2003 als Bauschs Assistentin verabschiedet, strahlt in Jo Anns Darstellung eine fast schon unmenschliche Kälte aus: „Sie blieb sitzen, rauchte ihre Zigarette zu Ende, sagte, ich sei sowieso nie da, wenn sie mich braucht, und ich sei unberechenbar. Sie würde nicht im Weg stehen, wenn ich nicht mehr mit dem Tanztheater arbeiten wolle“.

Aber Endicott kommt von Bausch nicht los. Als das Band zerschnitten ist, wartet sie in ihrem Haus im Badischen wochenlang, monatelang fast verzweifelt auf Bauschs Anruf, und als Bausch sich endlich meldet, schmilzt Endicott augenblicklich dahin. Über weite Strecken schildert sie die Choreografin ohnehin mit den Augen einer Liebenden (was nicht im sexuellen Sinn verstanden werden sollte). Sie sieht Pina Bausch nicht nur als eine große Künstlerin, ein Genie. Sie findet sie schön, auch verletzlich, möchte sie schützen. Letztlich gilt, was die Kollegin Malou Airaudo, von einem ihrer Fluchtversuche in ihre südfranzösische Heimat nach Wuppertal zurückgekehrt, auf die Frage nach dem Grund für ihre Rückkehr sagte, ebenso für Endicott: „Mit Pina zu leben, ist schwierig. Aber ohne sie geht es gar nicht“.

Die Australierin Jo Ann Endicott, eine grandiose Menschendarstellerin auf der Tanzbühne, erweist sich – obwohl sie etwas kokett immer mal wieder betont, dass sie im Grunde gar nicht richtig Deutsch könne – in ihren Büchern als eine erstklassige, hoch amüsante Autorin. Indem sie frisch von der Leber weg erzählt, was in ihr vorgeht, überträgt sie ihre faszinierende Persönlichkeit – einer Künstlerin, eines Muttertiers – praktisch ohne Verluste aus dem Leben aufs Papier. Auch wenn sie zu tanzen aufgehört hat. Das Schreiben wird sie hoffentlich nicht lassen.

Jo Ann Endicott: „Warten auf Pina. Aufzeichnungen einer Tänzerin“. Henschel Verlag, Leipzig. 128 S., mit vielen Fotos, 16,90 Euro.

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