Grandioses Gleichnis auf Manipulation

Jo Fabians Rundumschlag „Independent Swan“ hypnotisiert in der HALLE

Berlin, 14/12/2009

Welch grandioses Bühnenbild! Die Szene der HALLE voller weißer Quadrate, auf vier knien in hoch geschlossenen Langmänteln Krüppel, die sich an Stöcken in grünem Nebel mühsam aufrecht halten. Vorn stehen Gestelle mit schwarzen und roten Wimpeln, balsamisch brabbelt eine Stimme vom Band. Unendlich langsam richten sich die Gestalten auf, im Mantelspalt werden weiße Kniestrümpfe und Springerstiefel sichtbar, alle tragen Sonnenbrillen, lauter Fabians. So beginnt Jo Fabian seine neue Produktion „Independent Swan. eine WahnVorstellung“, steigert sie rasch zu verwirrender Schönheit. In der Tiefe thronen drei Trommler, weißes Hemd, Schlips, Kniebundhose, Springerstiefel, auf weißen Podesten; dahinter glühen vor schwarzen und roten Stoffbahnen eine Sonne aus Stäben und ein Holzgerüst auf. An den vier Ecken der Szene glimmen Feuerschalen. Nur der Goldton der deutschen Flagge ist dieser schwarzweißroten Komposition abhanden gekommen. Doch an Wohlgefühl ist Fabian in seiner Hintergründigkeit nicht gelegen. Denn kaum stehen seine Medien auf, eint sie, jeder freilich isoliert auf eigenem Quadrat, hin und her wogender Seitschritt: Er wird knapp 70 Minuten lang die bündelnde Bewegung bleiben, ein zunächst durch Zählen, dann von Trommeldröhnen eingepeitschter Marschtritt. So wie sich der Rhythmus bisweilen differenziert, schleichen sich in den Tritt heimtückisch Gesten und Variationen ein, Salutieren, Fäuste, Armführungen, niedliche Folkloreaufhüpfer. Selbst wenn die Trommeln verstummen, fährt diese Militärmaschinerie in fast gewalttätigem Eigenlauf fort, Anklang an Hitlerjugend oder Neonazis.

„We for free“ versteht man von dem, was einer der Akteure mit prophetisch erhobenem Finger in ein hängendes Mikrofon spricht, der Rest wird zertrommelt. Der andere Akteur scheint Weihwasser aus dem Feuerbecken schöpfen zu wollen und rötet sich damit die Stirn. Blutig sind alle Rituale, die den Menschen vereinnahmen. „Wenn ich ein Vöglein wär“, volkstümelt es, die Männer tanzen Schuhplattler. Einer erwacht, schreit in Hitlermanier, er komme hier nicht raus, die Firma sei verbrecherisch, der Vertrag ein Fehler. Als er den Chef imitiert, redet der bayrisch. Blutiges Papier halten die Frauen da in Händen, der Grundtritt bringt alle wieder auf Linie. So funktioniert Manipulation: Der Trance des durchratternden Rhythmus kann man sich kaum entziehen. Auch Soprane lässt Fabian, Meister der perfiden Montage, erklingen, „Guten Abend, gute Nacht“ von der Spieluhr tönen, einmal gar ein Agnus Dei einspielen, alles Ablenkmanöver vom Seelenfang jener Sekte. Tennisbälle erzeugen raffiniert Gegenrhythmen, färben sich dabei von den Händen rot; aggressiv breitbeinig und gespenstisch starr stehen die Akteure lange wie Schergen auf den schon eingebluteten Quadraten, bis sie wieder mechanisch in den Tritt verfallen. Im Video dreht sich ein virtueller Jesus am Kreuz, wie man ihn aus Fabian-Stücken kennt. Megaphon und Posaune finden Einsatz, ehe die Wimpel Winkelemente werden und den „Sterbenden Schwan“, Reminiszenz an ein berühmtes Ballett-Solo, erstechen. Federn rieseln da vom Plafond. Der einigende Tritt rechtfertigt auch diesen symbolischen Mord, im Video tanzen Kinder friedlich Reigen, alle sieben Spieler knien still auf den Quadraten. Mit diesem Bild trügerischen Friedens endet Fabian eine seiner besten, radikalsten Arbeiten.

Wieder 16.-20.12., 20 Uhr, HALLE, Eberswalder Str. 10-11, Berlin-Prenzlauer Berg

www.halle-tanz-berlin.de

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