Frau hoch sieben

Jo Ann Endicott. „Warten auf Pina“

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Stuttgart, 04/03/2009

Eine „Mischung aus Tänzerin, Darstellerin, Schauspielerin, Mensch, Mutter, Hausfrau und Putzfrau“, als das empfindet sich Jo Ann Endicott. Das allein ergibt schon eine Frau hoch sieben. Doch nicht genug damit! Denn sie ist ja auch Autorin, Regisseurin, Soloperformerin, Assistentin, Coach und … hier höre ich lieber auf. Denn sie ist ja auch, rein bürgerlich, Jo Ann Endicott, und rein künstlerisch sozusagen Pina Bauschs Alter Ego. Picasso hätte sie malen können: die Frau mit den zwölf Gesichtern. Eine Hydra? Ganz im Gegenteil: eine Frau, die menschlichste all ihrer Geschlechtsgenossinnen vom Stamme Terpsichore zwischen Katherina de Medici und Polina Semionova.

Und so sind ihre „Aufzeichnungen einer Tänzerin“ – bereits ihr zweites Buch nach „Ich bin eine anständige Frau“ –, die unter dem Titel „Warten auf Pina“ im Henschel-Verlag erschienen sind (Berlin 2009, 128 Seiten, zahlreiche schwarz-weiß Fotos, die meisten aus Gert Weigelts Meister-Collection, ISBN 978-3-89487-631-9, 16,90 Euro) das menschlichste, anrührendste und gleichzeitig mitleidlos alle Schrecknisse und Wonnen dieses Metiers enthüllende Buch einer Tänzerin, das mir bekannt ist. Ich habe es geradezu verschlungen! Es erzählt in klarer, unbeschönigender Sprache die Geschichte eines jungen Mädchens, das aus Australien 1973 als Dreiundzwanzigjährige von Pina Bausch vom Fleck weg ans damalige, junge Wuppertaler Tanztheater engagiert und einer ihrer Stars wurde – von den legendären „Sieben Todsünden“ über unzählige Produktionen, inklusive „Sacre du printemps“ bis zu den verschiedenen „Kontakthof“-Versionen erst für die Senioren und dann für die Junioren-Ausgabe von 2008.

Da ist sie längst über ihre Ballerinenrolle hinausgewachsen und in ihrer neuen Funktion als Probenleiterin (auch der wichtigen Pariser-Opéra-Neuproduktion von Bauschs Wuppertaler Gluckschem „Orpheus und Eurydike“-Original von 1975). Was für ein Leben in diesen Jahren von 1973 bis 2008! Diese Aufregungen, diese menschlichen Erlebnisprozesse, dieses Älter- und Reiferwerden im Umkreis ihrer Kollegen und Freunde samt ihrer Familie (inklusive ihrer Hunde). Wie hat sie das alles geschafft – nicht zuletzt sich immer wieder aufzurappeln aus den unvermeidlichen Rückschlägen und Enttäuschungen: Jo Ann Endicott, die Anfang der Fünfziger aus dem fernen Down Under nach Europa kam – und sich zweiundzwanzig Jahre vor einem gewissen Senator aus Illinois sagte: Yes, I can. Und die der Welt bewiesen hat: Yes, I could – and I did it!

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