Ein spektakuläres Fernsehereignis

Sasha Waltz & Guests mit „Dialoge 09“ im Neuen Museum Berlin

oe
arte, 19/10/2009

Auch ohne Nofretete war dies ein Spitzentreffen von Architektur und Tanz: die erste Produktion im noch nicht ganz fertiggestellten Neuen Museum Berlin mit „Sasha Waltz & Guests“ in „Dialoge 09“ – gefilmt im März dieses Jahres. Ein Spitzenereignis auch des Fernsehens, das dank der raffinierten Kamera- und Schnitt-Technik dem Zuschauer Einblicke verschaffte, die er wegen der häufigen Orts- und Perspektivwechsel als anwesendes Publikum nie zu sehen bekommen hätte. In die nicht nur die Tänzer, sondern auch die Musiker, Instrumentalisten und Choristen, einbezogen waren. Und so begab sich diese knapp einstündige Sendung nach antikem Vorbild wie eine sich ständig verwandelnde „Metamorphose“ frei nach Ovid: eine Symbiose aus Raum und Klang und Tanz, aus Historie und Gegenwart – ein Kunstwerk sui generis. Modell eines Zusammenwirkens von Architektur und Tanz von überwältigender Schönheit (das einen nachträglich noch einmal die Defizite der kürzlich ausgestrahlten Sendung „ballettmainz tanzt im Dom“ bewusstwerden ließ).

Ohne direkte Anleihen aus der uns bekannten Tanzgeschichte der Antike und auch ohne Direktzitate aus den inzwischen komplettierten Objekten der verschiedenen Sammlungen gelang durch den Schnitt der Kostüme, der Frisuren und Kopfskulpturen und natürlich der Choreografie im Arrangement und der Führung der Figuren mit ihren unendlichen Variationen der Arm- und Handhaltungen nebst den Beinverknotungen eine ungemein dichte Suggestion von Szenen aus der ägyptischen und römischen Antike, aber auch aus der auf die Baugeschichte anspielenden Fin-de-siècle-Mode, die fortwährend neue Erinnerungsbilder aus der Literatur- und Kunstgeschichte beschwor und so wie eine vorweggenommene Verlebendigung der hier inzwischen wieder gezeigten Objekte der Sammlungen wirkte. Wobei die Architektur mit ihren monumentalen Wänden und Treppen und die wunderbaren Ornamente der Fußböden mitzutanzen schienen – namentlich in der Konfrontation der Tänzer mit den Wänden und Säulen, die sich wie aus ihrer plastischen Erstarrung als Fries lösten und in den Raum ausscharten. Nachdem die Figuren quasi von Archäologen aus dem Sand gebuddelt wurden.

Die Choreografin hier also in ihrer Rolle als Pygmalia. Da war es nicht schwer, in der Fantasie die nicht anwesende Nofretete, Laokoon oder den Apollo Kitharodos zum Leben zu erwecken, oder in den Kampfszenen die kriegerischen Auseinandersetzungen der Kombattanten aus den Friesreliefs, oder in den römisch inspirierten Gruppenarrangements die Gäste aus Ovids „Ars amatoria“. So ist hier, auch in der finalen Einbeziehung des Publikums dieser Veranstaltung, dem Fernsehen eine Produktion gelungen, wie sie nur diesem Medium möglich ist. Hätte ich einen Preis zu vergeben, den „oe“ gewissermaßen, „Sasha Waltz & Guests“ wären die ersten, die ich damit auszeichnen würde. Übrigens ein Hinweis für alle, die diese Sendung versäumt haben: arte wiederholt sie am kommenden Sonntag, dem 25. Oktober – leider schon um sechs Uhr in der Frühe (aber wozu gibt es die Videorecorder?). www.sashawaltz.de

 

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