Dieter Heitkamp

Contact Improvisation: Lehre als der Prozess gemeinschaftlichen Lernens

Frankfurt, 09/01/2009

Vor drei Jahren wollten alle Abiturienten unseres Tanzgymnasiums nach Frankfurt auf die Hochschule. Wieso plötzlich Frankfurt „in“ war, das habe ich Prof. Dieter Heitkamp damals gefragt, als er zum Tag der offenen Tür an unserer Schule eingeladen war, um ein Workshop in Contact Improvisation zu geben und seine Hochschule vorzustellen. Er hat mir gleich das ganze Konzept, das damals neu war, zukommen lassen. Sehr transparent!

Ich habe damals seinem Unterricht mit Interesse zugeschaut; für mich als klassische Tänzerin war Contact Improvisation unbekanntes Terrain und hat mich neugierig gemacht. Ich habe mich gefreut, als er nach meiner Anfrage bereit war, mich in Frankfurt zu empfangen, mir seinen Unterricht zu zeigen und meine sechs Fragen zu beantworten.

Ich wurde sehr offen empfangen und konnte einen Einblick in die Ausbildung gewinnen. Es sind kleine Klassen, es werden nur zwölf von 100 Bewerbern jedes Jahr aufgenommen. Ich habe sehr unterschiedlichen Studenten gesehen, die wie in allen deutschen Hochschulen nicht nur aus Deutschland kommen.

Ich habe mich lange mit Prof. Heitkamp unterhalten und konnte meine Neugier über diese junge Technik der Contact Improvisation durch ein paar Fragen weiter stillen. Die CI wurde den 70er Jahren in Amerika geboren und hat u.a. mit Berühren zu tun. Da ich in den 70ern im Theater als klassische Tänzerin auch viel mit Partnerarbeit zu tun hatte, denn im Pas de deux muss man schließlich mit Berührung arbeiten, wollte ich wissen, wo die Unterschiede dazu liegen. Natürlich in der Rollen- und Gewichtsverteilung: in der klassischen Partnerarbeit hebt nur der Mann, die Tänzerin versucht sich so leicht wie möglich zu machen und alles ist vertikal ausgerichtet, im CI dagegen geben und nehmen beide Partner Gewicht voneinander, heben und stützen einander und man bewegt sich in allen Raumebenen, wobei das Fallen Teil der Partnerarbeit ist. Die Bewegung entsteht aus diesem gleichberechtigten Geben und Nehmen der Partner, die miteinander arbeiten.
Wer mehr über Contact Improvisation wissen möchte: www.contact-improvisation.net.

Ich habe Dieter Heitkamps Unterricht in Improvisation mit dem ersten Ausbildungsjahr zusehen können. Die Aufgaben hatten alle mit der Zahl drei zu tun, nach Texten von Ted Shawn über die Theorie von François Delsarte. Die Studenten sollten mit den drei Ebenen im Raum und im Körper (Kopf, Rumpf, Glieder) arbeiten, mit drei Motionen (Opposition, Parallelität und Sukzessivität), es galt Statik, Dynamik, Kinetik und Folgen, Leiten, Aufbrechen zu beachten. Es gab drei Gruppen, die Übungen dauerten drei Minuten. Die letzte Aufgabe in drei Gruppen: sich bei den Händen anfassen, bewegen, ohne loszulassen.

Der Unterricht wird in zwei Sprachen gegeben, Deutsch und Englisch, eine dieser zwei Sprachen wird bei der Aufnahme verlangt. Die Studenten werden motiviert, zu beobachten und zu reflektieren. Als Fazit zu seinem Unterrichtprinzip finde ich ein Zitat von ihm sehr passend: „Whatever happens is right, but be aware of it“.


Meine sechs Fragen hatte er schon vor meinen Besuch per Mail beantwortet. Hier die unveränderten Antworten:

1. Wie und wann sind Sie zum Unterrichten gekommen?

Meine ersten Unterrichtserfahrungen sammelte ich über fünf Semester am Institut für Sportwissenschaft der FU Berlin von 1978-1980. Gemeinsam mit zwei Kommilitonen bereitete ich die wöchentlichen Lehrveranstaltungen „Selbsterfahrung durch Bewegung“ und „Modern Dance“ vor. Unsere Unterrichte waren nicht durch hierarchische Strukturen geprägt, sondern Experimente unter Gleichen. Sie führten zu aufschlussreichen Feedbackrunden. Ab 1981 unterrichtete ich in der Tanzfabrik Berlin im regelmäßigen Kursprogramm sowie in Intensivworkshops. Seit 1978 entwickelte sich die Tanzfabrik zu einem wegweisenden Zentrum für den Zeitgenössischen Tanz in Deutschland. Von diesem Ort gingen, und gehen bis heute, wichtige Impulse aus.

2. Welche Meister haben Sie nicht vergessen? Und warum? 

Ich hatte das große Glück den verschiedensten Menschen zu begegnen und von Ihnen zu lernen, in Unterrichtssituationen wie im gemeinsamen Tanzen und im Gespräch. Ihre Lebendigkeit, ihre Gedanken, ihre Bilderwelten, ihre Lebensweisen haben mich inspiriert und tun es heute noch. Ihr Wissen im Tanz, ihre Qualitäten, auch in vielen anderen Feldern, ihr Reichtum und ihr freigiebiger Umgang damit öffnen mir weiterhin Räume. Durch Christine Vilardo und Reinhard Krätzig bin ich so mit Contact Improvisation in Berührung gekommen. Dies hat meinen Lebensweg nachhaltig beeinflusst. Wegweisend ist Bill Forsythe - durch sein künstlerisches Schaffen, sein permanentes Suchen, sein Insistieren auf gesellschaftliche Fragen, sein Kreieren von innovativen pädagogischen Tools. Auch Lisa Nelsons Art und Weise, Wahrnehmung zu untersuchen, die gemachten Erfahrungen zu dokumentieren, zu vermitteln und als Basis künstlerischen Schaffens zu erschließen, hat mich immer wieder fasziniert und angeregt.

3. Sind Sie der Meinung, dass man, das Lehren lernen kann? 

So global lässt sich Ihre Frage nicht beantworten. Konkret kommt es darauf an, was vermittelt werden soll, wie die Rahmenbedingungen sind, welche Ressourcen zur Verfügung stehen, welches Wissen, welche Kompetenzen wie zu erwerben sind, wie diese in den unterschiedlichsten Bereichen anwendbar sind. Dennoch lautet meine Antwort: Ja. Dank der Unterstützung von Tanzlabor 21/Ein Projekt von Tanzplan Deutschland konnten wir den 2-jährigen Masterstudiengang Zeitgenössische Tanzpädagogik (MA ZTP) zum Wintersemester 07/08 an der Frankfurter Hochschule einrichten. Für mich ist Lehre der Prozess gemeinschaftlichen Lernens. Sie beinhaltet das kritische Hinterfragen, die Bereitschaft, Veränderungen zu akzeptieren, sie herauszufordern.

Wenn ja, wie sollte Ihrer Meinung nach so einen Lehrgang aussehen? 

Den Begriff „Lehrgang“ finde ich missverständlich. Ich würde diese Frage streichen

4. Muss für Sie ein Lehrer professionell getanzt haben? 

Nicht unbedingt, das hängt u.a. davon ab, in welchem Kontext jemand unterrichtet, wo sie oder er das macht und für welche Zielgruppe. Was heißt professionell? Wer definiert das? Wo und wie muss jemand getanzt haben, um professionell zu sein? In Frankfurt ist eine fundierte Tanzausbildung sowie eine mehrjährige Berufserfahrung Voraussetzung für die Zulassung zum Masterstudiengang Zeitgenössische Tanzpädagogik. Zusätzlich müssen sich die Bewerber zu verschiedenen Fragestellungen schriftlich äußern und ihre Fertigkeiten im praktischen Teil der Prüfung nachweisen. Diese Qualifikationen für ein Masterstudium werden in anderen tanzpädagogischen Ausbildungen nicht vorausgesetzt.

5. Was ist für Sie das Wichtigste zum erfolgreichen Unterricht? 

Ich weiß nicht, was Sie mit erfolgreichem Unterricht meinen. Zu welchem Zeitpunkt wird welcher Erfolg gemessen? An Instant Results oder nachhaltigeren Ergebnissen lebenslangen Lernens? Ich versuche die Teilnehmer dort abzuholen, wo sie aktuell sind, sie individuell zu fördern und zu fordern, sie zu ermutigen sich einzubringen, zu spüren, zu erfahren, neugierig zu sein, lustvoll auszuprobieren, Scheitern als Chance zu erleben, sich auf Prozesse und Gruppen einzulassen, auch in schwierigen Situationen weiter zu kommunizieren, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen.

6. Welche Korrekturen sollen Ihre Schüler nicht vergessen? 

Ich wünsche mir Studierende, die sich umschauen, sinnvollen Hinweisen nachforschen, erspüren was neue Informationen bewirken, ihre Erfahrungen reflektieren und diese in ihre Praxis integrieren.


Prof. Dieter Heitkamp ist Direktor des Ausbildungsbereiches Zeitgenössischer und Klassischer Tanz Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt. Er studierte Sport und Biologie an der Freien Universität Berlin und Bildende Kunst an der Hochschule der Künste Berlin (Klasse Dieter Appelt). Seine Tanzausbildung begann er 1977 mit Contact Improvisation (CI), gefolgt von verschiedenen modernen, zeitgenössischen, Release- und Alignmenttechniken sowie Body-Mind Centering. Seit über 30 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Studium, der Lehre und der Aufführung von Contact Improvisation. Seit der Gründung der Tanzfabrik Berlin 1978 arbeitete, organisierte, tanzte, choreografierte und unterrichtete er dort, war Kollektivmitglied und bis 1995 einer ihrer künstlerischen Leiter. 2001 erhielt er den Ruf als Professor für Zeitgenössischen Tanz an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt am Main (www.hfmdk-frankfurt.de). Er ist Direktor des Ausbildungsbereiches Zeitgenössischer und Klassischer Tanz und war von 2005 bis 2008 Dekan des Fachbereiches Darstellende Kunst. Seit 2006 ist er im Leitungsteam Tanzlabor_21/Ein Projekt von Tanzplan Deutschland tätig und seit Februar 2007 ist er einer der Sprecher der Ausbildungskonferenz Tanz.
 

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