Die Dekoration wird zum Leitmotiv

„Schwäne und Feuervögel“: Das Buch zur Münchner Ausstellung über die Ballets Russes

Düsseldorf, 26/04/2009

Am 18. Mai dieses Jahres jährt sich zum hundertsten Mal das erste Auftreten von Serge Diaghilews Ballets Russes im Théâtre du Châtelet in Paris. Auf dem Programm standen noch nicht jene Choreografien, an die sich jeder Tanzinteressierte sofort erinnert, wenn von den Ballets Russes die Rede ist: vornehmlich die Strawinsky-Ballette „Petruschka“, „Feuervogel“, „Sacre du Printemps“, „Les Noces“ und „Apollon Musagète“. Gleichwohl ist es ein Datum, das die Welt des Bühnentanzes entscheidend verändert hat – und jeder Erinnerung wert. Im deutschen Sprachraum gedenkt eine Ausstellung mit dem Titel „Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909 -1929“ des legendären Ensembles; sie ist noch bis zum 24. Mai im Deutschen Theatermuseum in München zu sehen und wandert dann nach Wien – für die Zeit vom 25. Juni bis 27. September - ins Österreichische Theatermuseum weiter.

Begleitet wird die von Claudia Jeschke und Nicole Haitzinger zusammengestellte Ausstellung von einem prachtvoll illustrierten Buch, das mit einem halben Dutzend Aufsätzen nicht nur die spezielle Ästhetik des Ensembles zu erklären versucht, sondern auch seine Rezeption speziell in Mitteleuropa beschreibt. Die beiden Kuratorinnen der Ausstellung, beide Fakultätsmitglieder der Tanzabteilung der Universität Salzburg, befassen sich in den zentralen Essays des Buches mit „Russischen Tanzwelten in Bewegung“ – wobei Haitzinger sich vor allem dem szenischen Umfeld der Stücke, ihren Bühnenbildern und Kostümen widmet, während Jeschke die Bewegung behandelt. Die Russin Evgenia Ilyukhina erzählt „Die Geschichte des Balletts ‚Die Hochzeit (Les Noces)‘“. Gunhild Oberzaucher-Schüller widmet sich der Frage, ob es sich bei der Beziehung zwischen Mitteleuropa und den Ballets Russes um eine „Unglückliche Liaison, Unvereinbarkeit der Charaktere oder späte Liebe?“ gehalten habe (und kommt letztendlich zu dem Schluss, dass Mitteleuropa das Erbe Diaghilews schon in den zwanziger Jahren angetreten habe).

Andrea Amort untersucht die Rezeption der Ballets Russes in Wien, und Andreas Wehrmeyer beschreibt die Rolle von Serge Diaghilew „als Vermittler und Propagandist russischer Kultur“. Jeschkes und Haitzingers Sichtweise auf die Ballets Russes wird erkennbar an dem Untertitel, den sie sowohl der Ausstellung als auch dem Buch gegeben haben: „Russische Bildwelten in Bewegung“. Beide versuchen, das speziell „Russische“ an Diaghilews Kompanie herauszuarbeiten – was letztendlich dazu führt, dass der bedeutendste Choreograf, der je die Geschicke der Ballets Russes künstlerisch gelenkt hat, dass George Balanchine in ihrem Buch so gut wie überhaupt nicht vorkommt; gerade, dass der „Apollon“ am Rande eines Beitrags erwähnt wird.

Generell führt Jeschkes und Haitzingers Perspektive dazu, dass das Bühnenbild wichtiger erscheint als die Choreografie und der Tanz, ein Faktum, das auch die Illustration des Buches unterstreicht. Bühnenbild- und Kostümentwürfe überwiegen die Fotos, auf denen die Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles – Waslaw Nijinsky, Tamara Karsawina, Anna Pawlowa – zu sehen sind, bei weitem; der Satz - „Die Dekoration wird zum Leitmotiv“ – aus einem von Haitzinger zitierten Text, mit dem der Maler und Bühnenbildner Léon Bakst seine Arbeit beschreibt, wird so zum Charakteristikum des gesamten Buches.

Bei der Vorbereitung der Ausstellung haben Jeschke und Haitzinger auch die - westlichen Experten lange nicht einsichtigen - einschlägigen Dokumente in Moskauer und St. Petersburger Archiven und Museen studieren dürfen. So kann der Besucher der Ausstellung und der Leser des Buches sicher sein, dass sich die Erkenntnisse der Autoren über die Ballets Russes und deren Mitarbeiter auf dem neuesten Stand der Wissenschaft befinden. Leider machen sie es dem Leser nicht eben leicht. Beider Aufsätze sind in einem „wissenschaftlichen“ Jargon geschrieben, der die Lektüre schwer, zuweilen fast zur Qual macht. Vor allem Jeschkes Texte, die sich beinahe mehr mit Texten und Konzepten als mit choreographischen Strukturen und der Bewegung an sich befassen, entschweben immer wieder in eine schwer verständliche Abstraktion. Was genau ein Satz wie „Nijinskys strenger Blick auf die organische Körperlichkeit (auch im Zusammenhang mit der Vermittlung von Russischem) wurde in Massines Ballett-Verständnis mit korporaler Skulpturalität kontrastiert, wenn es um die Verhandlung von russischen Themen ging“, inhaltlich besagt, erschließt sich mir auch auf den zweiten Blick nicht wirklich. Vielleicht muss man bei Professor Jeschke in Salzburg studiert haben, um ihre Texte in „Schwäne und Feuervögel“ genießen zu können. Aber ich fürchte, auf die meisten Leser dieses Buches wird das nicht zutreffen.

Claudia Jeschke/Nicole Haitzinger: „Schwäne und Feuervögel. Die Ballets Russes 1909-1929. Russische Bildwelten in Bewegung.“ Henschel Verlag, Leipzig 2009. 176 S., zahlreiche Abbildungen, 26,90 Euro.

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