Der fahrende Ritter im Zirkus

Beate Vollacks großartiger „Don Quixote” an der Oper von Breslau mit Gästen aus Berlin

Breslau, 27/02/2009

Seit einiger Zeit hat sich der psychologische Realismus, mitsamt seinen Ansprüchen auf ethische und politische Wertung im zeitgenössischen Theater durchgesetzt – selbst im Ballett sieht man diesen erfrischenden Inszenierungsstil. Beate Vollack, eine erfolgreiche klassische Tänzerin und nun Choreografin moderner (oder postmoderner) Werke, hat für ihren „Don Quixote” im polnischen Wrocław (Breslau) den goldenen Mittelweg gefunden. Zusammen mit ihrer Dramaturgin Silvia Bruenig dachte sie sich eine völlig neue Version der bekannten Geschichte aus und bewahrte dabei doch die traditionellen Bewegungen. In Vollacks und Bruenigs Konzept ist Sancho Panza ein arbeitsloser Clown, der einen Fremden mit in den Zirkus bringt. Kennen gelernt haben sich die beiden in einem Antiquariat, wo Don Quixote nach intensiver Lektüre Ritterkleidung anlegt, um sich auf einen Kreuzzug zur Rettung vergessener Werte zu machen. Er sieht aus, als wäre er nicht von dieser Welt: dürr, mit wildem Blick, in seiner lächerlichen barocken Aufmachung und ständig mit der Handhabung seines Speers kämpfend, landet er mitten in der bunten Welt eines armen Provinzzirkus’. Zirkus und Antiquariat – kann man sich deutlichere Gegenwelten zur harten Realität vorstellen? Sancho hängt sich also an den neuen Gefährten, der ihm vielleicht wieder Arbeit verschafft, kümmert sich andererseits aber auch liebevoll um den Verrückten. Im echten Leben würde heute keiner mehr einen Irren wie Quixote verstehen, im Zirkus aber gelten ganz eigene Gesetze, nämlich die der Illusion und der außergewöhnlichen Talente. Keiner sieht hier ganz normal aus, jeder hat hier ganz spezielle Begabungen, Don Quixote passt also perfekt hinein. Macht es da etwas aus, dass er eine Schlange tötet, weil er sich um deren Fakir Sorgen macht? Dass er aus Angst um die hübsche Assistentin den Messerwerfer der Truppe daran hindert, mit seinen scharfen Geschossen auf sie zu zielen? Ein solches Verhalten passt zum Zirkusspektakel, vor allem wenn Don Quixote auch noch die komische Einlage des Abends durcheinander bringt. Die Grenzen zwischen Karneval und Zirkus überschneiden sich – eine brillante Idee, die der Romanvorlage von Cervantes oder auch Calderons Stücken ähnelt.

Indem sie die Geschichte in den Zirkus verlegt, hätte Beate Vollack sich durchaus auf die virtuosen Details der Choreografie und spektakuläre Einlagen stürzen können. Nichts davon. Sie entwickelt durchgehend die Charaktere und zeigt uns, mit welch romantischer Poesie sich die Liebe zwischen Kitri und Basilio entwickelt. Er arbeitet beim Zirkus und ist heimlich ein sehr begabter Tänzer, während sie als Balletttänzerin der Star der kleinen Truppe ist. Natürlich schlagen sich Don Quixote und Sancho sofort auf die Seite der Liebenden, deren glücklicher Vereinigung wiederum der Zirkusdirektor entgegenarbeitet, der Vater des Mädchens. Der Ritter aus dem Antiquariat nimmt dabei eine Schlüsselposition ein: er lenkt die Ereignisse und spielt bewusst oder unbewusst eine Rolle in ihnen. Er selbst schwärmt von Dulcinea, der Frau seiner Träume, die aber vielleicht auch ein Mädchen aus dem Zirkusensemble ist. Die Frage ist nur, welche? Die kleine Rasche oder die ätherische Brünette? Praktisch jeder der Protagonisten steht vor solchen kleinen, für seine Person riesigen Dilemmas. Über der Komik aber droht immer wieder ein dunkles Element, verkörpert im Zauberer der Zirkuskompanie. Interessant ist dabei, dass dieser Solist unter der Maske des El Melenas niemals sein wahres Gesicht enthüllt, nicht einmal beim Schlussapplaus.

Passend zu dieser durchgängigen Doppeldeutigkeit besteht Jordi Roigs Bühnenbild aus drehbaren Elementen, die das Publikum vor unter hinter die Kulissen des Zirkus blicken lassen. Rein choreografisch lässt sich Beate Vollack von der Stimmung der jeweiligen Szenen inspirieren. Im ersten Akt bewundern wir spektakuläre Tanzetüden, die sich aus der Zirkuskunst ableiten, die folgenden Szenen sind dann theatralischer. Der dritte Akt ist ein einziger Ballett-Taumel, in dessen Mittelpunkt der unsterbliche Pas de deux nach der traditionellen Version von Petipa steht (an die sich auch zuvor Don Quixotes Traumszene hält). Die beiden Hauptrollen waren mit Gästen vom Berliner Staatsballett besetzt. Iana Salenko glänzte als Kitri, sie tanzte fehlerlos und vermittelte sehr überzeugend die Emotionen ihrer Figur: Genau wie Rainer Krenstetter als Basilio: ein Mann und doch gleichzeitig noch ein Junge. Der österreichische Tänzer tanzte diszipliniert, übertrieb niemals wie ehedem der verehrte Baryschnikow. Denn in Vollacks Zirkusspektakel kommt es auf das Teamwork an. Ein perfekter Don Quixote, Thomas Krohn, bildete mit dem Sancho von Dariusz Raczycki ein charmantes Paar. Mit ihren sanften Bewegungen konnte Nozomi Inoue als Dulcinea, ein Mädchen auf der Grenze zwischen Traum und Realität, absolut mit den Stars mithalten.

Was Beate Vollack und ihre Mitarbeiter aber alles unternahmen, um die Qualität der Ballettkompanie am Wrocławer Opernhaus zu verbessern, das verdient eine weitere Auszeichnung. Ich kann mich nicht erinnern, dass hier je besser getanzt wurde und warte voll großer Erwartungen darauf, dass Tänzer der Kompanie die Hauptrollen übernehmen. Beate Vollack hat hier ihr allererstes abendfüllendes Handlungsballett choreografiert. Die Kitri hat sie in ihrer Ballerinenkarriere nie getanzt, aber dafür ist es ihr gelungen, eines der bekanntesten, am häufigsten inszenierten Werke des Tanzrepertoires gleichzeitig mit der frischen Sicht des Regie-Neulings und der Distanz der erfahrenen Choreografin zu inszenieren, eine gleichermaßen vielversprechende wie gefährliche Kombination. In Breslau gelang Vollack damit ein ganz erstaunlicher, Respekt gebietender Erfolg, der verdientermaßen mit langen Ovationen gefeiert wurde.
Autor: Grzegroz Chojnowski

Links:
www.opera.wroclaw.pl
www.beate-vollack.com

 

Aber natürlich!
Ein Interview mit Beate Vollack Über ihr erstes abendfüllendes Handlungsballett unterhielt sich der polnische Tanzkritiker Grzegorz Chojnowski in Breslau mit der ehemaligen Münchner Solistin.

Grzegorz Chojnowski: Es war sicher eine große Herausforderung für Sie, einen der bekanntesten Ballettklassiker neu zu bearbeiten und auf die Bühne zu bringen.

Beate Vollack: Das stimmt, aber das Opernhaus von Wrocław bei mir angefragt hat, sagte ich spontan: „Ja, ich bin bereit für diese Aufgabe.“ Die Musik ist dabei sehr hilfreich, denn sie wurde genau für diese Art von spektakulärem Tanz gemacht, mit viel Bewegung und viel Spaß. Mit dieser großartigen und unterhaltsamen Musik war es eigentlich sehr einfach, dieses Ballett zu choreografieren.

Bei der Premiere tanzten zwei Solisten vom Berliner Staatsballett, aber sie werden irgendwann wieder abreisen und ihre Kollegen aus Wrocław übernehmen dann die Hauptrollen. Sie haben monatelang mit ihnen gearbeitet, was halten Sie von ihnen?

Es war sehr schön, mit den Tänzern aus Berlin zu arbeiten, denn ihnen musste ich ja schließlich meine neue Version auch beibringen, aber ihr Auftritt hier ist wie ein Festival, ein Bonbon, eine zusätzliche Überraschung für alle. Die Tänzer aus Wrocław, die sehr, sehr gut sind, haben andere Erfahrungen und einen anderen Hintergrund. Man kann sie gar nicht vergleichen. Ich habe mit den Berliner Solisten sehr viel weniger geprobt als mit den Tänzern hier, denn die Berliner kennen meinen Arbeitsstil bereits sehr gut. Ich glaube, für die Tänzer aus Wrocław war es sehr ungewöhnlich, als ich sie bat, die Szenen auszuspielen. Es ist ein komisches Ballett, das heißt man kann unmöglich auf eine detaillierte Inszenierung verzichten. Ich wollte es in einem Stil zwischen klassisch und modern gestalten, dazu müssen die Mitwirkenden aber auch etwas mehr machen als nur tanzen. Das, so glaube ich, kostete die Tänzer dieser polnischen Kompanie anfangs sehr viel Zeit. Die Gäste aus Berlin wussten sofort, was ich will, und ich wollte echte Menschen auf der Bühne sehen, damit jeder sofort weiß: Basilio arbeitet im Zirkus, er und die Ballerina lieben sich. Es muss einen Unterschied zwischen den Momenten geben, wenn sie auf der im Zirkus tanzt und wenn sie dann mit ihm allein ist. Es sollte so privat wie möglich aussehen, aber immer noch auf eine künstlerische, stilvolle Art und Weise, denn wir können schließlich nicht vergessen, dass wir hier eine Geschichte spielen. Es war wahrscheinlich neu für die Kompanie aus Wrocław, auf eine solche Weise zu arbeiten.

Sie choreografieren viel für Opernaufführungen. Was halten sie von modernen Inszenierungen klassischer Werke? Wie leicht oder schwer fällt Ihnen die Zusammenarbeit mit den Regisseuren, die ihre ganz eigenen Visionen der berühmten Werke haben?

Wenn man mit einer klassischen Ballettausbildung erzogen wurde, dann ist man erstens hart im Nehmen und zweitens sehr offen für alle möglichen Auffassungen. Die Arbeit mit Regisseuren macht sehr viel Spaß, wenn sie nur ein wenig bereit sind, mir zu sagen, was sie wollen – dann ist es so wunderbar, ihre Visionen in ein reales Bild umzusetzen. Oft lesen sie hier oder dort ein paar Bewegungen auf und ich bin dann diejenige, die einen Tanz daraus machen soll. Am Ende sagen sie dann nur: „Oh ja, das ist sehr bewegend, das ist gut“ oder „Nein, das gefällt mir nicht“. Was mich dann herausfordert, ist eine andere Bewertung. Das Publikum von „Don Quixote zum Beispiel wird mich nach den Schritten beurteilen, nach der fünften Position und so weiter. In der Oper muss die Bewegung zur Inszenierung passen. Sie haben dort keine Ahnung, was eine saubere fünfte Position ist, aber sie sehen und fühlen ganz genau, ob die Emotionen stimmen. Deshalb sind die Arbeitsweisen für Oper- und Ballettchoreografien so unterschiedlich.

Sie tanzen heute nicht mehr sehr viel, aber manchmal stehen Sie noch auf der Bühne. Zum Beispiel letztes Jahr in den USA, beim Lincoln Center Festival.

Ich muss sagen, dass ich mich in einer großartigen Lage befinde. Manchmal bitten mich Regisseure, bei einer Aufführung mitzutanzen und dann lautet meine erste Frage immer: „Was ist die Idee dahinter, wer bin ich?“. Wenn ich es interessant finde, dann mache ich es. Ich trainiere immer noch, ich stehe jeden Morgen im Ballettsaal, mache mein Fitnessprogramm, einfach weil ich daran gewöhnt bin. Wenn ich eine Rolle wirklich tanzen möchte, dann sage ich zu. Ich kann es mir jetzt leisten zu sagen, ja oder nein zu sagen. Es ist ein bisschen so, wie wenn man einen Kuchen hat und den allerbesten Teil für sich selbst wegnehmen darf. Ich kann aber auch sagen: „Ach, heute ist mir nicht nach Süßigkeiten, heute mag ich den Kuchen nicht“. Es liegt ganz bei mir. Als ich in Amerika „Die Soldaten“ von Zimmermann gemacht habe, habe ich sowohl die Choreografie für die Operninszenierung erstellt wie auch eine der Rollen auf der Bühne getanzt. Ich war eine Kellnerin aus Andalusierin, die aber für eine Weile Soldat wird, das hieß ich bekam einen Schnurrbart und eine andere Frisur. Das hat wirklich Spaß gemacht, mit all den Jungs zu marschieren und einer von ihnen zu werden. Leider hatte ich solche Rollen im Ballett nie, also sage ich natürlich ja, wenn ich so eine Gelegenheit bekomme!

Autor: Grzegorz Chojnowski

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern