Das Geheimnis des Lebens, das göttliche Rätsel lösen

„Copy Coppelia“ von Henning Paar im Gärtnerplatztheater

München, 19/01/2009

Das Geheimnis des Lebens, das göttliche Rätsel lösen. Von den Geschöpfen des Prometheus und dem jüdisch-mystischen Golem über Dr. Frankensteins Monster bis hin zum Klonen von Lebewesen, seit jeher versucht der Mensch sich selbst als Schöpfer. Ob nun medizinisch-wissenschaftlich oder nur wunschfabulierend in der Literatur. 1870 taucht das Thema zum ersten Mal auf der Tanzbühne auf: „Coppelia“, ein Ballett von Charles Nuitter und Arthur Saint-Léon nach E. T. A. Hoffmanns Erzählung „Der Sandmann“, das immer wieder neuinszeniert wurde. Jetzt hatte Hans Henning Paars schlüssiges „Copy Coppelia“ im Münchner Gärtnerplatztheater Premiere. Es sollte auch ein NichtTanzpublikum neugierig machen. Die Pariser Ur-„Coppelia“, zur süffigen Ballettmusik von Léo Delibes, war ein Produkt des fortschrittlichen, aber doch noch harmloser Unterhaltungslust frönenden Industriezeitalters. Paar, das konnte man voraussagen, würde heutig choreografieren, aus dem Blickwinkel unserer gentechnologisch experimentierenden, hochtechnisierten Informationsgesellschaft heraus. Bei ihm ist Dr. Coppelius nicht mehr der verschrobene Puppenmacher, sondern als Science-Fiction-Fortschreibung bereits selber eine perfekt menschenähnliche Maschine. Und diesem „Copy-Robot“ gelingt nach diversen Versuchen tatsächlich eine beseelte Coppelia.

Dass derjenige, den sie für ihren Vater hält, lediglich ein Androide ist, erkennt sie erst gegen Ende in einem langen Pas de deux: auf ihre Liebesbedürftigkeit reagiert Coppelius nur mit kalten programmierten Robot-Bewegungen. Lieke Vanbierfliet, klar, in ihren Gefühlen fast durchsichtig, und Pedro Dias, glänzend in seiner „blicklos“ abweisenden Maschine-Mensch-Zwitterhaftigkeit, lassen wie immer vage, aber auf jeden Fall anrührend, etwas von der Tragik menschlicher Fortschrittsgläubigkeit erahnen. Was, wenn sich die Grenzen zwischen Natur und Technologie tatsächlich auflösen sollten? Die Antwort hier ist auf furchtbare Weise nüchtern, lapidar: nach der Erkenntnis, Produkt einer Maschine zu sein, stürzt sich Coppelia in den Tod.

So deprimierend diese „Coppelia“-Neudeutung ist, zumal in einer meist düster ausgeleuchteten nackten Labor-Bühne – Paars plausibel und zügig auf den „Erkenntnis“-Höhepunkt zustrebende Choreografie vermag durchgehend zu fesseln. Die Collage aus sirrend-kratzenden elektronischen Klanggeweben und minimalistisch Symphonischem (von Ake Parmerud, Michael Gordon, Reinhard Felbel, Fritz Hauser u. a.) ist beim reinen Hören nicht so aufregend, eignet sich aber sehr gut als atmosphärisch-dynamisch antreibende Untermalung. Im rhythmischen Sog hecheln Coppelius' bisher geschaffene hohläugige „Rohlinge“, halbfertige Biomasse sozusagen, als „Metropolis“-Trupp über die Bühne. Beine, Arme, Hände, Köpfe in mechanisch ruckender Aufgeregtheit. Ein schon besseres Forschungsergebnis hängt noch an der Elektro-Nabelschnur. Eine Fast-Menschin wird als Spitzenschuh-Übermarionette vorgeführt. Paar beherrscht aufs beste das eckig-kantige Automaten-Vokabular und enthüllt auch geschickt die Maschinen-Identität seiner Figuren: nach einem überdrehenden und sichtlich erschöpfenden Gruppentanz müssen alle auf herabgelassenen Hängeliegen (schöne Idee von Ausstatter Andreas Carben) erst mal wieder energetisch aufgeladen werden. Dass Paars Ensemble, noch unter Schock durch den unerklärt plötzlichen Tod des Tänzer-Kollegen Sebastian Nichita, mit vollem Einsatz getanzt hat, verdient besondere Anerkennung.

28. 1.; 3. und 26. 2.; 12. und 29. 3.; 1. und 9. 4., 19 Uhr 30.

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