„Coppélia“ von Pierre Lacotte und Arthur Saint-Léon beim Wiener Staatsballett

„Coppélia“ von Pierre Lacotte und Arthur Saint-Léon bei Wiener Staatsballett: Ensemble

Die Pflicht ist erfüllt, die Kür fehlt

„Coppélia“ von Pierre Lacotte und Arthur Saint-Léon als Wiederaufnahme beim Wiener Staatsballett

Den geringen Stellenwert, den die Klassikerpflege beim Wiener Staatsballett derzeit hat, erkennt man auch bei der aktuellen Einstudierung an der Volksoper Wien.

Wien, 09/10/2023

2019 holte Manuel Legris, damals Chef des Wiener Staatsballetts, „Coppélia“ in der Fassung von Pierre Lacotte nach Wien. Nach mehrjähriger Pause kam es nun zu einer Wiederaufnahme in neuer Besetzung. Lacotte rekonstruierte den 1. und 2. Akt nach Arthur Saint-Léon und adaptierte bzw. choreografierte den 3. Akt. Während in den ersten beiden Akten die bekannte Handlung passiert, ist der 3. Akt ein reines Divertissement. Lacottes Fassung enthält viel Pantomime und – auch wenn es auf den ersten Blick nicht unbedingt so scheint – technisch anspruchsvolle Variationen mit vielen kleinen schnellen Schritten und Sprüngen.

Die Geschichte beginnt auf dem Dorfplatz vor dem Haus des Puppenmachers Coppélius. Franz, eigentlich mit Swanilda verlobt, hat sich in Coppélia verliebt. Dabei ist Coppélia immer nur am Fenster sitzend und lesend zu sehen – ohne jegliche Reaktion auf das, was vor dem Haus des Puppenmachers passiert. Swanilda bemüht einen alten Aberglauben: sie befragt eine Kornähre. Rasselt diese an ihrem Ohr, so ist ihr Franz treu. Doch leider hören weder sie noch Franz etwas. Die Enttäuschung ist groß. Abends findet eine Freundin Swanildas auf dem Dorfplatz den Schlüssel zu Coppélius‘ Haus und so können die Mädchen – allen voran Swanilda – in die Werkstatt eindringen.

In der Werkstatt des Puppenmachers stellen die Mädchen rasch fest, dass es sich bei Coppélia um eine Puppe handelt. Als sie von Coppélius überrascht werden, können die Mädchen fliehen, nur Swanilda versteckt sich. Währenddessen steigt Franz durch das Fenster ein und wird ebenso von Coppélius überrascht. Der Puppenmacher nützt die Situation aus und macht Franz betrunken, da er dessen Lebensenergie auf Coppélia übertragen will. Dies scheint auch zu funktionieren, denn Coppélia erwacht tatsächlich zum Leben. Doch es ist Swanilda, die Coppélias Platz eingenommen hat, und so Franz retten kann. Es folgt ein Fest zur Glockenweihe bei dem junge Paare – so auch Swanilda und Franz – vermählt werden. Verschiedene Allegorien wie die Morgenröte oder die Zeit mit einem Tanz der Stunden treten auf.

Kiyoka Hashimoto (Swanilda) und Alexey Popov (Franz) bemühen sich redlich, die Geschichte zu erzählen, scheitern aber an den vielen pantomimischen Szenen. Jackson Carroll spielt den Puppenmacher Coppélius mehr als verwirrten komischen Kauz und erweckt nicht unbedingt den Eindruck, dass er ein Genie ist, der lebensechte mechanische Puppen bauen kann. Man bekommt das Gefühl, dass vor allem in den Spielszenen nur Bewegungen nachgemacht werden, aber viele nicht genau wissen, was sie hier tun. Der Eindruck verstärkt sich noch, wenn man auf der hauseigenen Homepage liest, dass Natalya Butchko (Zweitbesetzung) in einem Gespräch zur Wiederaufnahme von einem Grashalm und nicht von einer Kornähre spricht (Nachtrag: Laut Volksoper handelt es sich hier um einen Übersetzungsfehler). Hashimoto meistert die technischen Herausforderungen gut, während Popov teilweise unsicher wirkt. Das könnte daran liegen, dass man ihn in dieser und der letzten Saison kaum auf der Bühne gesehen hat. Die Gruppentänze sind selten synchron ausgeführt und teilweise scheinen die Schritte nicht so ganz zu sitzen. Auch der 3. Akt, eine Abfolge von Divertissements, deren Sinn nur darin besteht, technische Brillanz zu zeigen, scheitert eben genau daran, dass diese fehlt.

Ob es an zu wenig Probenzeit liegt, an mangelnder Genauigkeit bei der Einstudierung oder wirklich das Niveau des Ensembles in den letzten Saisonen gesunken ist, ist aus Zuschauersicht schwer nachzuvollziehen. Dass die Wertschätzung für und das Wissen um das klassische Repertoire fehlt, ist mittlerweile evident. Es scheint mehr um das Abarbeiten einer Pflichterfüllung zu gehen als um die Kunst. Doch von dieser Verantwortung um die Klassiker und die Pflege des Repertoires bekommt man eine Ahnung, wenn man sich mit der Geschichte des Ensembles beschäftigt. Regelmäßige Besucher*innen wissen, was das Wiener Staatsballett leisten konnte und hoffentlich auch noch bzw. wieder leisten kann.

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