Getanzte Gesamtkunstwerke

Die Ballets-Russes-Ausstellung im Deutschen Theatermuseum

München, 18/02/2009

Sie signalisierten den Aufbruch in die Tanzmoderne, Sergej Diaghilews legendäre Ballets Russes. Denn was der russische Impresario, der ursprünglich von der Kunst (er war 1899 Mitbegründer der Zeitschrift Mir Iskusstwa/Welt der Kunst) und der Musik herkam, seinem Publikum bot, war neu und einmalig: Es waren Gesamtkunstwerke, entstanden in Zusammenarbeit und gegenseitiger Inspiration von Ausnahmetänzern, avantgardistischen Choreografen, modernen Komponisten und herausragenden bildenden Künstlern. Mit der Ausstellung „Schwäne und Feuervögel – Die Ballets Russes 1909-1929“ hat sich das Deutsche Theatermuseum München (in Kooperation mit dem Österreichischen Theatermuseum Wien) auf die Spuren dieser legendären Truppe begeben.

„Uns ging es vor allem um eine Annäherung an die Ballets Russes. Und zwar über Sinnlichkeit, über Atmosphäre“, sagt die Tanzwissenschaftlerin Claudia Jeschke, die mit ihrer Co-Kuratorin Nicole Haitzinger Objekte aus St. Petersburg, Moskau, Wien, Salzburg und der Hamburger John-Neumeier-Stiftung zusammentragen konnte: Notate, Figurinen, Fotos unter anderem von Mikhail Fokines „Feuervogel“ (1910), Probenfotos von Bronislawa Nijinskas „Les Noces“ (1923), Originalkostüme und buntfarbene, in fantastische Details gehende Papierrepliken, angefertigt von Moskauer Studenten, sogar ein Ballettschläppchen des Tänzer-Choreografen-Genies Nijinsky.

Spannend in den kreativen Prozess zurückversetzend sind vor allem die Bühnen- und zahlreichen Kostümentwürfe von den ständigen „Diaghilew-Künstlern“ Léon Bakst, Alexandre Benois, Nicolas Roerich und Natalja Gontscharowa. In den geschwungenen wie auch in den teilweise prismisch gebrochenen, fast konstruktivistischen Körperformen und -linien der Modellbilder deutet sich bereits tänzerische Bewegung an, erahnt man den künstlerischen Austausch zwischen den Maler-Künstlern und den Choreografen.

Von Zeichnung zu Zeichnung wandelt man den großen Balletten entlang, die noch heute auf unseren Bühnen getanzt werden wie Fokines „Petruschka“ (1911) und Nijinskys „Frühlingsopfer“ (1913). Aber auch Gontscharowas fantastische Entwürfe für geplante und nie realisierte Ballette (Beispiel: „Liturgie“, 1915) ziehen einen in ihrer farblich-malerischen Qualität in Bann.

Die Farben waren auch Leitline in der Präsentationskonzeption. Im Foyer die Bildwelt „Blanc“, die für die erste Dekade des 20. Jahrhunderts steht. Exemplarisch Michail Fokines für Anna Pawlowa kreiertes Solo „Der Sterbende Schwan“ (1907). Das von León Bakst entworfene weiße Tüllkostüm ist hier als hochfein filigranes Papier-Double zu bestaunen. Die Bildwelt „Multicolore“ entführt in die Periode von 1909 bis 1915, in der kräftige bunte, hart kontrastierende Farben vorherrschten, die auf ein archaisches Russland zurückverweisen. In Roerichs „Sacre“-Ausstattung werden die alt-russischen Riten, Mythen und Ikonen beschworen. Und schließlich die Bildwelt „Unicolore“ in der Phase bis 1929, in der ausdrucksstarke Elemente der russischen Volkskultur aufgegriffen, aber schon abstrahiert in eine neue Ordnung gebracht werden. Repräsentativ dafür Nijinskys „Les Noces“, auf das sich Gontscharowa mit farblicher und formaler Reduktion einstellte. Die Fortschreibung ist dann George Balanchines neoklassisches „Apollon Musagète“ von 1928 , das in der Ausstellung als Video zu sehen ist. Ebenfalls auf Video: Annäherungen an den Bewegungsstil der Diaghilew-Ära, rekonstruiert und choreografiert von der ausgewiesenen Notations-Expertin Claudia Jeschke. Am 3. März eröffnet sie auch im Bayerischen Staatsballett (am Platzl 7) mit dem Vortrag „Nijinsky und die Cecchetti-Tradition“ die Reihe der begleitenden Veranstaltungen.

Die Ausstellung ist täglich außer montags 10 bis 16 Uhr geöffnet. Der höchstlohnenswerte, weil kunsthistorisch und tanzwissenschaftlich vertiefende Katalog kostet 26,90 Euro.

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