Das Spiel mit geschlechtlicher Identität

Susanne de Pontes Buch „Ein Bild von einem Mann – gespielt von einer Frau“ in der Reihe zum Bestand des Deutschen Theatermuseums

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, im Rahmen der Entwicklung von Ausdruckstanz und sich in der Gesellschaft abzeichnender Genderdiskussionen, gewinnt die falsche Hosenrolle im Tanz an Bedeutung.

München, 04/02/2014

Susanne de Ponte nähert sich in ihrer reich illustrierten Publikation, die sich zwischen Katalog und wissenschaftlicher Abhandlung bewegt, der Theatergeschichte durch einen unerwarteten Blickwinkel: der Geschichte der Hosenrolle. Gerade die Hosenrolle, das Spiel mit der geschlechtlichen Identität von Rolle und Darsteller sowie deren gesellschaftlichen Konnotationen und Konstruktionen greife direkt auf eine der ursprünglichsten Ideen des Theaters, die Schaffung einer Als-Ob-Situation, zurück, so Susanne de Ponte gleich zu Beginn ihrer Ausführungen. In einem weit gespannten historischen Bogen, der von den Anfängen des Theaters im 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum Theater der Gegenwart reicht, und mit einem Gang durch die drei Hauptgattungen des europäischen Theaters (Sprechtheater, Musiktheater, Tanztheater) betrachtet de Ponte das in allen Zeiten zu findende Phänomen der Hosenrollen. Obwohl sich de Ponte immer wieder dem Einsatz der Hosenrolle in Musik- und Tanztheater zuwendet, liegt ein deutlicher Schwerpunkt auf den Entwicklungen innerhalb des Sprechtheaters.

Dass es sich bei der Hosenrolle keineswegs ausschließlich um eindeutig männliche Rollen handelt, die von Frauen gespielt, getanzt oder gesungen werden, sondern sich die Hosenrolle wesentlich vielseitiger zeigt, überrascht. So stellt Susanne de Ponte drei verschiedene Arten der Hosenrolle vor: die echte Hosenrolle (ein Mann wird von einer Frau verkörpert), die verkleidete Hosenrolle (eine Frau verkleidet sich während des Bühnengeschehens als ein Mann) und die falsche Hosenrolle (eine weibliche Figur mit männlichen Attributen und Charakterzügen). Doch nicht nur drei verschiedene Typen, auch drei sich manchmal durchaus verschränkende Funktionen der Hosenrolle kristallisiert Susanne de Ponte in ihrer breit angelegten Forschung heraus: zum Einen stellt die Hosenrolle eine Erweiterung der Bühnenrollen für Frauen dar und verlangt, vor allem in echten Hosenrollen, große schauspielerische Fähigkeiten, zum Zweiten zeigt sie gender-basierte gesellschaftliche Machtstrukturen auf und spielt mit diesen. Und Drittens darf auch die erotische Komponente, die Hosenrollen immer wieder für Theatermacher und Theaterpublikum interessant gemacht haben, nicht vergessen werden. In männlichen Rollen und Kostümen konnten Frauen ihre Beine zeigen und auch die übrigen Körperkonturen kamen zum Beispiel durch enge Jacken deutlicher zur Geltung. Welche Funktion der Hosenrolle in jeder Epoche und Gattung dominierend ist, führt Susanne de Ponte nicht nur in klaren Worten, sondern auch mit zahlreichen Beispielen und Illustrationen aus.

Für den Tanz wird die Hosenrolle vor allem im 19. Jahrhundert wichtig. In immer mehr Produktionen traten Tänzerinnen in echten und verkleideten Hosenrollen auf und auch komplette Hosenrollen-Corps werden zunehmend in die Choreographien integriert. De Ponte zeigt auf, dass Ballette in denen Hosenrollen vorkamen, im Schnitt kommerziell erfolgreicher waren und führt dies in erster Linie auf erotischen Voyeurismus des hauptsächlich männlichen Publikums zurück. Eine These, die leider nicht näher ausgeführt wird. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vor allem im Rahmen der Entwicklung des Ausdruckstanzes und sich in der Gesellschaft abzeichnender Genderdiskussionen, gewinnt dagegen die falsche Hosenrolle im Tanz an Bedeutung. Damit eröffnet Susanne de Ponte zwei für eine weitere dezidiert tanzwissenschaftliche Forschung interessante Fragestellungen.
„Ein Bild von einem Mann – gespielt von einer Frau. Die wechselvolle Geschichte der Hosenrolle auf dem Theater“ stellt einen reich illustrierten Überblick über die Hosenrolle auf der (west)europäischen Bühne dar. Insgesamt bleibt Susanne de Ponte in ihren Ausführungen eher deskriptiv. Damit liefert sie zwar eine Fülle an Material und Informationen zu der Thematik, bleibt in ihrer Analyse jedoch eher an der Oberfläche. Gerade in Zusammenschau mit der beiliegenden CD-Rom, die eine Art Datenbank zu allen recherchierten Hosenrollen enthält, breitet Susanne de Ponte mit dieser Publikation eine Fülle an Material und Fragestellungen aus, die eine spannende Grundlage für weitere, spezifischere Forschungen bietet.


Susanne de Ponte: Ein Bild von einem Mann – gespielt von einer Frau. Die wechselvolle Geschichte der Hosenrolle auf dem Theater, München: edition text + kritik, 2013
erschienen in der Reihe: Kataloge zum Bestand des Deutschen Theatermuseums, hrsg. vom Deutschen Theatermuseum München, Band 2, 313 Seiten + eine CD-Rom

 

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