Deutschland, Deine Tänzer...

Was will, kann, nützt die Tanzplattform Deutschland eigentlich noch?

Hannover, 26/02/2008

In Hannover ging nach der Eröffnung mit Meg Stuarts „Maybe Forever“ im Schauspielhaus eben dort mit Raimund Hoghes „Bolero Variations“ die „Tanzplattform Deutschland 2008“ zuende. 450 Fachbesucher - darunter auffallend viele Afrikaner und Japaner, eingeladen von den Goethe-Instituten in ihren jeweiligen Ländern – sowie tanzbegeisterte Hannoveraner füllten bei den 22 Vorstellungen der zehn ausgewählten Produktionen an vier Tagen die fünf Spielstätten zu 90 Prozent.

Soweit die faktische Bilanz der Veranstalter, „Tanz und Theater e.V.“ in Zusammenarbeit mit der niedersächsischen Landeshauptstadt (und zahlreichen Co-Veranstaltern aus anderen Städten). Einen Einblick in die vielfältige freie Tanzszene Deutschlands, in aktuelle Trends und Techniken will die Biennale bieten und für Freischaffende – messeähnlich - ein Vermarktungsforum sein. Aber wie fair ist das eigentlich? Und wie sinnvoll – bei gerade mal fünf Prozent aus 200 der von drei (!) Juroren gesichteten Produktionen, die nach Hannover kommen durften und konnten (weil Technik und Termin passten)?

Die Auswahl empfand manch angereister Zuschauer enttäuscht eher als eine magere Ausbeute im weiten Feld der deutschen „freien Szene“. Kaum mehr als das Schaufenster einer Boutique im Vergleich zur gläsernen Auslagenphalanx eines Kaufhauses, die der Realität eher entspricht. Irgendwie scheint das Format dieser organisatorisch extrem aufwändigen Biennale nicht mehr im Lot zu sein mit dem Anspruch.

Außerdem: was drei Tanzexperten auswählen, kann – sagen wir mal - 3 000 Zuschauer verprellen. Bei aller „Coolness“, die viele „freie“ Künstler auch durch die Verwendung tanzfremder Medien demonstrativ zur Schau stellen, müssen sie doch Zuschauer anlocken und ins Herz treffen oder zumindest erreichen, verstören, unterhalten oder gar begeistern.

Auch das Ambiente und die Klientel entscheiden also über Erfolg oder Flop der individuellen Qualität jedes zeitgenössischen Tanztheaters. Das zeigte sich in Hannover drastisch bei Meg Stuarts rührend romantischer und doch biederer Liebesgeschichte mit dem eher westfälisch drögen Philipp Gehmacher. Nach dem Jubel bei der Berliner Premiere waren die Buhs in Hannover eine eiskalte Dusche (aber leider verständlich). Da die Amerikanerin ja nun wirklich zu den „mit allen Wassern gewaschenen“ Profis der internationalen freien Tanzszene zählt, gibt diese Publikumsreaktion denn doch zu denken. Ich persönlich fand die unausgewogene Ausstattung von Janina Audick und die einschläfernd banalen Gitarrensongs von Niko Hafkenscheid lästig. Mich nervten aber auch – pardon – diese vielen Hasenpfötchen-Gesten der schüchtern Verliebten.

Verwirrt waren viele Zuschauer offenbar auch bei Eszter Salamons – zweifellos raffinierter - „Collage“ über Identität und Schicksal „And then“. Was für ein wunderbarer Beitrag wäre das, denke ich, bei der „documenta“ oder Münsters „Skulptur-Projekten“ gewesen! In Hannovers Ballhof-Theaterchen eingepfercht aber kam da viel zu wenig über von der „Mischform“ zeitgenössischer Choreografie, von der kunstsparten-übergreifenden Qualität.

Ähnlich VA Wölfls „Rockkonzert“ mit dem provokativen Nonsense-Titel „12/...im linken Rückspiegel auf dem Parkplatz von Woolworth“. Zwar hatte der Düsseldorfer in der Orangerie Herrenhausen einen perfekt kompatiblen Raum zu seinem Benrather „Schloß“-Domizil zur Verfügung. Aber das Publikum – eben nicht aus NRW, wo er Kultstatus genießt – fühlte sich unwohl in diesem eiskalt zynischen, billigen „Popkonzert“ von „Neuer Tanz“, wo eben diese Sparte nur durch die Spitzenschuhe klassischer Ballerinen an den Füßen von zwei Sängerinnen als einzige, abfällige Referenz – abgesehen von einer lächerlich langweiligen Fitnesstudio-Aerobicnummer - präsent war.

Dass zeitgenössischer Tanz „Geschmackssache“ ist, gibt jeder Insider mittlerweile zu. Viel heikler ist die Frage der Abgrenzung von Profi-Performance und Freizeit-Fun. Laientanz hat in Deutschland spätestens seit Simon Rattles Engagement mit den Berliner Philharmonikern und Royston Mardooms Verfilmung „Rhythm is it“ eine nicht zu übersehende Nische. Das rechtfertigt die Wahl von „E-motion“ mit „2nd ID“, einer fetzigen multi-kulti Hip-Hop-Show – total „artfremd“ verbannt in den winzigen Theaterraum der Hochschule für Musik. Demonstrativ verließen einige „Profis“ den Raum, während das Gros die Hip-Hop-Eskapaden der Multi-Kulti-Truppe lauthals bejubelte. Ich atmete, sag' ich ehrlich, so richtig auf – und verschweige liebe Details meiner Wut auf manche Auswahl, die mir als künstlerisch total unredlich oder armselig erschien.

Zwei Produktionen, meine ich, erfüllten den - wann immer gefassten - Schwerpunkt-Gedanken der Juroren, dass der deutschen Tanzgeschichte nachgespürt werden solle: Susanne Linkes „Schritte verfolgen II - Rekonstruktion und Weitergabe“ - und Frédéric Gies' „Dance (Practicable)“. Wie unglaublich wichtig Linke für den „jetzigen“ Tanz ist, steht außer Frage. Wenn mancher „Auserwählte“ dieser Plattform sich ihre geniale „Schlichtheit“ der Körpersprache zu Herzen nähme statt den Zuschauer zu „beschäftigen“ mit gucken, lesen, zuhören, Ohren zuhalten, Brille auf- und absetzen... , als wenn Tänzer Linkes Credo „Ich möchte die Seele berühren“ zur „Chefsache“ machten, könnte es dem zeitgenössischen freien Tanz in Deutschland und sogar an den Stadttheatern wieder besser gehen.

Der französische Wahl-Berliner Frédéric Gies hat das wohl verstanden: ein Mann - huldigt Ausdruckstanz-Ikonen wie Mary Wigman und Isadora Dunkan, auch Oskar Schlemmer und Merce Cunningham. Für mich war's – wohl nicht allein, wie die Ovationen bei der ersten Vorstellung vor der offiziellen Eröffnung der „Tanzplattform“ zeigten - ein Hoffnungsschimmer für den zeitgenössischen Tanz gleich nach dem Kofferauspacken in Hannover und bei der Abreise in der Erinnerung der Vielfalt der Höhepunkt.

Die nächste Folge der Tanzplattform Deutschland findet 2010 in Nürnberg statt.
 

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