Wahrhaftigkeit und familiärer Rückhalt

„Nahaufnahme: Sasha Waltz” von Michaela Schlagenwerth

Berlin, 01/07/2008

In seiner Reihe „Nahaufnahme” veröffentlicht der Berliner Alexander Verlag sensible Künstlerinterviews, die weit über den sonst üblichen journalistischen Rahmen hinausgehen. So erschienen dort im vergangenen Jahr Renate Kletts Gespräche mit Alain Platel, die im intimen Dialog zweier alter Freunde nicht nur das Portrait einer Arbeitsweise, sondern auch eines Menschen und verzweifelten Humanisten entstehen ließen.

Der neueste Band ist der Choreografin Sasha Waltz gewidmet. Michaela Schlagenwerth, langjährige Tanzkritikerin der Berliner Zeitung, die das Schaffen der Künstlerin über mehr als ein Jahrzehnt hinweg begleitet hat, bemüht sich in acht längeren Gesprächen, ein Bild von Deutschlands derzeit erfolgreichster Tanzschaffender zu entwerfen.

Während sich Renate Klett ihrem Gegenüber auf Augenhöhe nähern konnte, bleibt die Journalistin jedoch immer die Pressevertreterin, die von ihrem Gegenüber freundlich, aber bestimmt auf Abstand gehalten wird. Das Porträt der Sasha Waltz, das dabei entsteht, ist das einer sehr ernsthaften, aber auch sehr vorsichtigen Künstlerin, die lieber über ihre Arbeit als über private Obsessionen spricht.

In den 15 Jahren ihres Schaffens hat Sasha Waltz eine beeindruckende Entwicklung vollzogen. Von den bunten Tanztheater-Miniaturen ihrer Anfänge im Off-Theater, über die raumgreifenden Schöpfungen an der Berliner Schaubühne bis hin zu monumentalen Gesamtkunstwerken in Opern wie „Dido und Aeneas” oder „Medea”. Bei aller Unterschiedlichkeit sind Waltz’ Arbeiten immer von einem besonderen Raumverständnis geprägt. Als Tochter eines Architekten und einer Galeristin wollte sie zunächst Malerin werden, bevor sie sich für eine Ausbildung als Tänzerin entschied. Die Vorstellung vom Raum, der bereits die Essenz eines jeden Stückes in sich trägt und der im Dialog mit den Körperkräften der Tänzer das Werk hervorbringt, zieht sich als roter Faden durch ihr Schaffen.

Besonders aufschlussreich sind die Äußerungen der Choreografin über ihre Arbeitsweise: In einer Recherchephase entwickelt sie zunächst eine Art „Fragenkatalog”, einen „Visions-Raum”, innerhalb dessen sie ihre Tänzer dann später improvisieren lässt. Dabei stehen die „Wahrhaftigkeit der Bewegung” und der „ehrliche Kontakt der Körper zueinander” im Vordergrund, und nicht etwa vordefinierte ästhetische Erwartungen.

Im fünften Gespräch des Bandes, in dem auch Sasha Waltz’ Ehemann und Manager Jochen Sandig auftritt, wird deutlich, wie sehr die Erfolgsgeschichte der Choreografin auf familiärem Zusammenhalt und geschickter Arbeitsteilung aufbaut. Sandig und Sasha Waltz Schwester Yoreme, die die meisten Produktionen als Dramaturgin betreut, halten der Künstlerin weitgehend den Rücken frei, so dass sie sich vollkommen auf ihr Schaffen konzentrieren kann. Jochen Sandig, der vermutlich einer der umtriebigsten und einflussreichsten Kulturmanager unserer Zeit ist, verdankt die Choreografin auch ihre eigene Spielstätte, das Radialsystem V, das sie nach dem Bruch mit der Schaubühne vor zwei Jahren bezog.

Trotz aller Erfolge scheinen in den Gesprächen auch immer wieder Selbstkritik und Bitterkeit auf. Zum Beispiel, wenn Sasha Waltz schildert, wie sie in ihrem gefeierten Stück „noBody” den plötzlichen Tod ihrer Mutter, die an einem unzureichend behandelten Herzinfarkt verstarb, verarbeitete. Auch der Umgang mit dem Druck der Bekanntheit wird plastisch, wenn die Choreografin selbstkritisch bemerkt, dass sie ihr Stück „S” nach den vehement negativen Kritiken so stark veränderte, dass es ihr heute „verkrüppelt” erscheint.

Am persönlichsten werden die Gespräche, wenn die Sprache auf Waltz’ Kinder kommt. Während der zehnjährige Sohn László bereits in zwei Stücken mit auf der Bühne stand, experimentiert auch die fünfjährige Sophia eifrig mit Bewegungen. Wenn die Choreografin darüber spricht, wie sehr sie die Unbefangenheit ihrer Kinder in der eigenen Arbeit inspiriert, findet sich darin vielleicht auch ein Schlüssel für die oft fast naive Unschuld und Zartheit, die ihren Schöpfungen bei aller choreografischen Bildgewalt stets innewohnt.

Das letzte Interview kurz vor Weihnachten gibt einen rührenden Einblick in das Waltz’sche Familienidyll. Während die Kinder Sterne basteln und nebenan das Kindermädchen Maultaschen zubereitet, erzählt die Choreografin von ihrer Sehnsucht nach einer Art spiritueller Tanzforschung, die nicht mehr zwangsläufig mit ständigem Produzieren neuer Werke verbunden sein muss.

Sechs Monate sind seit der Fertigstellung des Bandes vergangen. Nach der gefeierten Premiere von „Roméo et Juliette” an der Pariser Oper erkrankte die Choreografin schwer und musste feststellen, dass sie auf Dauer dem ständigen Arbeitsdruck nicht gewachsen war. Eine für letztes Frühjahr geplante Produktion musste sie aus Gesundheitsgründen absagen. Auch die Zukunft ihrer Company ist wegen der unsicheren Förderung durch den Berliner Kulturhaushalt bedroht. In Zeitungsinterviews denkt Sasha Waltz nun über die Entwicklung einer kleineren, persönlicheren und auch fragmentarischeren Form nach, die sie zurück zu ihren Quellen führen soll.

Vor diesem Hintergrund ist „Nahaufnahme: Sasha Waltz” eine beeindruckende Momentaufnahme, die neugierig auf das weitere Schaffen einer Choreografin macht, der es zwischen künstlerischer Entwicklung und wirtschaftlichem Erfolg immer wieder gelungen ist, sich selbst neu zu erfinden.

NAHAUFNAHME: Sasha Waltz Gespräche mit Michaela Schlagenwerth 120 Seiten, Alexander Verlag Berlin 1. Auflage 2008, Broschur, zahlreiche teils farbige Abbildungen ISBN: 978-3-89581-182-1 12.90 €

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