Tanz zwischen allen Fronten

Werke von „Modern Dance Turkey“ auf Bonns Biennale

Bonn, 21/06/2008

Größer hätte der Kontrast nicht sein können. Im Publikum eine junge islamische Frau im Kopftuch, auf der Bühne fünf türkische Tänzerinnen nur mit Slip und Top bekleidet. Doch die Suche einer Gesellschaft nach ihrem Weg zwischen Tradition und Moderne fand auch auf der Bühne statt. Das Ensemble von Modern Dance Turkey, 1992 gegründet, war mit drei Tanzstücken aus Ankara angereist, die sich thematisch genau mit diesem kulturellen Zwiespalt beschäftigen. „Süchtig“, so betitelt Alpaslan Karadum sein Tanztheater und meint damit den oberflächlichen Life Style. Er thematisiert den Wandel des traditionellen Frauenbildes in der Türkei. Schöne tänzerische Bilder findet er dafür, etwa wenn die Frauen vom Schwung ihrer Drehungen immer wieder umgeworfen werden, hart auf dem Boden und damit in der Realität ankommen.

Verunsicherung pur liegt im Bild der tastenden Tänzerin, deren langes Haar vollständig den Kopf bedeckt und damit „verschleiert“. Ausdrucksstark auch der Schluss, wenn die Tänzerinnen im Glaskäfig eingesperrt sind: Sie können alles um sich herum wahrnehmen, doch selbst beteiligt sind sie daran nicht. Das ist starkes Tanztheater voll Symbolik und Metaphern, das beim Bonner Publikum sehr gut ankommt.

Das Frauenbild ist auch Thema in Bürge Öztürks Choreografie „Wir spazieren, vielleicht tanzen wir ein bisschen Walzer“. Schöne Soli auf klassischer Basis zeigen eine selbstbewusste Frau, die den Mann nur noch als Dreh- und Hebehilfe braucht. Ihr Standbein fest auf dem Boden, fliegt das Spielbein in alle Richtungen. An Pina Bausch erinnern Tanzreihungen mit Teetassen. Hier stehen sie für Konvention und soziale Zugehörigkeit. Und wenn am Ende Hunderte davon scheppernd zerplatzen, hofft die Choreografin damit wohl auf den Bruch der Konventionen.

„Der Sammler von Momenten“ meint ebenfalls die Frauen. In Devrim Ileris sehr tänzerisch angelegtem Stück scheinen sie mit ihren Koffern in der Hand auf dem Weg nach Europa, so rufen sie sich jedenfalls zu. Und wenn die traditionellen Klänge zu einer Synthezisermusik wechseln, glaubt man ihnen das sofort. Mutig greift Modern Dance Turkey aktuelle Themen auf. Stilistisch bewegen sie sich zwischen Tanztheater, klassischer Tanzbasis und purem Tanz, sie nehmen Anleihen bei der Kontaktimprovisation des Amerikaners Steve Paxton und beim Minimal Dance mit seinen endlosen Wiederholungen. Es ist ein kraftvoller, sehr dynamischer und damit zuversichtlich wirkender Tanz, der zu einem Land im Wandel gut passt.

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