Radschlagen in Peking oder Tokio

Alles Ende ist schwer: Pina Bauschs neues, wieder mal titelloses Stück

Wuppertal, 31/05/2008

Normalerweise besetzt Pina Bausch ihre Stücke mit ihrem kompletten Ensemble; zwanzig oder mehr Namen auf dem Besetzungszettel sind keine Seltenheit. Im neuen, wieder mal titellosen Stück der Wuppertaler Choreografin stehen gerade nur neun Tänzer auf der von Peter Pabst mit nichts als langen, weißen, luftigen, mal sanft, mal stärker von der Windmaschine geblähten Vorhängen gegliederten Bühne des Elberfelder Schauspielhauses: die sechs Damen Regina Advento, Nazareth Panadero, Helena Pikon, Julie Shanahan, Julie Anne Stanzak und Aida Vaineri, die drei Herren Andrey Berezin, Daphnis Kokkinos und Michael Strecker, durchweg ältere, lang gediente Mitglieder des Ensembles. Ihre Kostüme, wie üblich von Marion Cito entworfen, entsprechen dem, was mit den Jahren etwas wie das Markenzeichen des Tanztheaters Wuppertal geworden ist: dunkle Anzüge für die Männer, bodenlange, schulterfreie Abendkleider für die Frauen, die bei vielen ihrer Auftritte auf hochhackigen Stilettos dahergestöckelt kommen, als wollten sie dem Frauenquartett von „Sex and the City“ Konkurrenz machen – eine Assoziation, die sich generell aufdrängt; doch scheint es sich, mindestens eine Halbzeit lang, eher um einen Gegenentwurf zu handeln.

Denn während den Damen von „Sex and the City“ der Sinn vornehmlich nach Mode und Männern steht, kommen die Wuppertaler Tänzerinnen – auch sie immer mal wieder in neuen Kostümen - bis zur Pause nach rund einer Stunde ganz gut mit sich selbst aus; die Männer sind bis zu diesem Zeitpunkt wenig mehr als notwendige Übel: bestenfalls assistierende Hilfskräfte, schlimmstenfalls Behinderungen, die etwa Shanahan immer wieder gewaltsam davon abhalten, auf ihrem Lauf in der Diagonalen dem Ruf einer Geschlechtsgenossin zu folgen, oder gar Folterknechte, die – sich abwechselnd - Stanzak an den Haaren zu einem Rundlauf um die Bühne zwingen.

Wirklich tanzen dürfen in dieser ersten Hälfte des Stücks, das zur Abwechslung mal nicht in fernen Ländern, sondern in Wuppertal seine Wurzeln hat, nur die Frauen. Jede von ihnen hat, beginnend mit Advento, mindestens ein großes, einsames Solo, in dem sie, mal lustvoll, mal eher wehklagend, aber durchweg sich verwindend und vor allem mit den Armen tanzend, sich den Frust aus den Gliedern schütteln: jede um eine Nuance anders als die andere. Zwischendurch kommen sie nach bewährter Bausch-Methode an die Rampe, flirten mit anonymen Zuschauern oder stellen sich vor: „Ich heiße Regina Advento. Nicht vergessen“. Panadero erscheint, mit Perücke und Brille in die dumme Blondine vom Dienst verwandelt, und jault ohrenbetäubend ins Mikrofon. Stanzak gibt radschlagend bekannt, sie liebe es radzuschlagen und habe es schon auf der ganzen Welt getan: in Peking wie in Tokio, New York und San Diego, in Amsterdam, Paris und London. Derweil kommt vom Tonband eine überwiegend weibliche, meistens schmeichelnd zärtliche Schlagermusik (als Musiklieferanten stehen 18 Namen auf dem Programmzettel), und auf den weißen Schleiern im Bühnenhintergrund führen Zarah Leander, Willy Birgel und Paul Hörbiger in Ausschnitten aus Viktor Tourjanskys Ufa-Film „Der Blaufuchs“ aus dem Jahre 1938 stumme Dialoge.

Ab und an werden dem Zuschauer Variationen beliebter Pina-Bausch-Motive vorgeführt. Shanahan darf sich, immer mal wieder, in ein von zwei der Männer gehaltenes, mit einem Kissen bestücktes Betttuch zurücksinken lassen. Panadero betreibt ein sinnloses Vorführspiel mit Gummihandschuhen. Helena Pikon lässt sich, im leuchtend roten Minikleid, auf den Knien von Strecker nieder und intoniert eine Parodie von Kopulations- und Orgasmusgestöhn. Doch aus all dem, Klischees und Wiederholungen eingeschlossen, erwächst, einen Akt lang, nichts Langweiliges noch Banales, sondern ein kleines, feines Stück: die zärtliche Darstellung einer Welt, in der Frauen ganz auf sich selbst gestellt sind und um die eigene Mitte kreisen. Die Geschlechterkämpfe, die Bauschs frühe Stücke prägten, die verzweifelten, oft aggressiven Versuche von Frauen und Männern, zueinander zu finden (und sei es um den Preis von Verletzungen), sind allenfalls noch ferne Erinnerungen. Aus einem Miteinander ist ein sanftes Nebeneinander geworden: Beschreibung einer neuen gesellschaftlichen Wirklichkeit.

Doch nach der halbstündigen Pause beginnt ein neues Stück. In einer der ersten Szenen treten drei der Frauen an die Rampe, streifen die dünnen Träger ihrer Abendkleider von den Schultern und machen den Rücken frei, an den die Männer, die zuvor nur um einzelne Frauen herumgeschlichen sind, sich schmiegen. Im Laufe der nächsten fünfzig Minuten bekommt auch jeder der Männer sein virtuoses Solo, während den Frauen, wohl auf den Rücken der im Tüll der Vorhänge unsichtbaren Männer, kurzzeitig ein kleines Ruhelager bereitet wird. Sogar eines jener Ensembles, das entfernt an alte Tage erinnert, gönnt die Choreografin sich und ihren Tänzern: eine Schlange, die ihre Glieder auf Händen und Füßen von links nach rechts eher stotternd über die Bühne gleiten lässt. Die schöne Einheit aber, die sich aus der weiblich geprägten Welt der ersten Stückhälfte ergab, zerbröselt. Die szenischen Wiederholungen, die in früheren Jahren – und noch bei Shanahans Anlaufen gegen die männliche Gewalt vor der Pause – wie das Bohren des Zahnarztes zur Entfernung einer wunden Stelle wirkten, und auch mancher neue Einfall (wie das Fallen-Lassen und Auffangen zweier Steine aus Shanahans erhobenen Händen) wirken nur mehr so, als habe das originale szenische Material für ein Zwei-Stunden-Stück nicht ausgereicht, und am Ende trudelt die Aufführung einfach aus: geht irgendwie zu Ende, als Shanahan nach einem letzten Solo in den Kulissen verschwindet. Der Ansatz zur Größe, der durchaus vorhanden war, hat sich in erstaunlicher Schnelligkeit verflüchtigt und kleinmütiger Unterhaltsamkeit Platz gemacht: Für „ein Stück von Pina Bausch“ letztendlich zu wenig.

Link: www.pina-bausch.de

 

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