Pingpong mit dem Chaos

William Forsythes neues Tanzstück „I don’t believe in outer space“ im Bockenheimer Depot in Frankfurt

Frankfurt, 22/11/2008

Es wird wieder viel gesprochen in William Forsythes neuem Tanzstück „I don’t believe in outer space“ – und einmal sogar auf Deutsch. „Es gibt keine Forschung, sondern nur Forscher“ sagt ein Tänzer, der sich selbst als Forscher bezeichnet; mit seinem abstrusen Kopfverband sieht der verwirrte Mann weniger aus wie ein Verkehrsopfer als wie der menschenähnliche Mutant einer außerirdischen Lebensform. Vieles von dem, was Forsythes Tänzer diesmal von sich geben, ist Nonsensgeplapper in englischer Sprache, manches sprachloses Gelalle, tief aus der Kehle ins Mikrophon gedrückt im hilflosen Bemühen, sich verständlich zu machen. Trotz der Beteuerung des Titels, er glaube nicht an den Weltraum, scheinen sich die 16 Bewohner des neuen Forsythe-Stücks, je zur Hälfte Frauen und Männer, außerhalb der menschlichen Zivilisation zu befinden.

In der vorderen Hälfte des Bockenheimer Depots in Frankfurt, wo die Uraufführung stattfindet, ist eine Art Zelt aufgeschlagen, das aber nur zur Dekoration dient. Die eigentliche Tanzfläche, ein leeres schwarzes Viereck, liegt dahinter und ist mit vielen Klumpen undefinierbarer Materie bestreut, die von den Tanzenden scheinbar unabsichtlich durch den Raum getreten werden. Fürs Publikum ist eigens eine Tribüne aufgebaut, die sich an der rechten Seite der Tanzfläche entlang zieht. Zu Beginn, wenn Forsythes Partnerin Dana Caspersen mit ihrem Tea-Time-Geplapper den Eindruck von Normalität zu verbreiten sucht, sind gerade nur vier Personen auf der Tanzfläche. Zwei von ihnen – beides Männer, einer der beiden trägt ein extrem vergrößertes Hinterteil mit sich herum - sind auf eine Weise ineinander verhakt, der weder die Bezeichnung „Pas de deux“ noch „Ringkampf“ gerecht wird; ihre Klammerakte geben die Bewegungs-Tonart an, in der das komplette Anderthalb-Stunden-Stück, auch in den großen Ensemble-Szenen, gespielt wird.

Die Gesellschaft, die sich hier in abgerissner Freizeitkleidung produziert, teils barfuß, teils auf Strümpfen oder in Turnschuhen, hat mit jenen menschlichen Gemeinschaften, wie sie auf allen Kontinenten des Erdballs anzutreffen sind, wenig zu tun. Es sind ihre in geschlossenen Anstalten weg gesperrten Minderheiten, die sich auf Forsythes Bühne ein Stelldichein geben, mit mal zu Fratzen verzerrten, mal selig lächelnden Gesichtern. Mit verdrehten, verwundenen Gliedern torkeln sie umher. Sie kriechen über den Boden, schnellen durch die Luft und scheinen sich die Zeit mit absurden Spielen zu vertreiben. Mal spielen zwei mit imaginären Bällen Pingpong, wie einst die Tennisspieler in Antonionis Film „Blow up“. Mal hält jemand eine überdimensionale Spielkarte in den Raum, die einen verfremdeten Karo-Bauern zeigt. Für Minuten setzen sie an zur großen Oper mit pathetisch auftrumpfenden Stimmen. Dann wieder entledigt sich eine Asiatin hinter einer Säule ihrer islamistischen Verkleidung und animiert das Publikum in der Mitte der Tanzfläche zu einer Aerobic-Einheit. An einer anderen Säule, an die er ein Papier mit einem Männerporträt geklebt hat, lehnt im Sitzen einer der Männer und dirigiert mit den Händen ein unsichtbares Orchester. Einer wirft einen der herumliegenden Klumpen in die Luft und lässt sich krachend zu Boden fallen, wenn die weiche Materie einschlägt wie eine Granate.

Thom Willems’ Musik untermalt alles das mit eher sanften, psychedelischen, nur ab und an einen harten Akzent setzenden Klängen, ganz so, als wolle er den Wahnsinn der Szene eher bremsen als anstacheln. Denn Forsythe, kein Zweifel, zeigt den Wahnsinn unserer kaputten Zivilisation und spielt Pingpong mit dem Chaos. In einer der zentralen Szenen des Stücks beschwört das Ensemble, vorwiegend verbal, den Text von einem weiblichen Sprecher zum anderen weiterreichend, eine große Kreisbewegung, die alles Leben zermahlt und verschwinden lässt, und im Finale, wenn das Männer-Paar des Anfangs sich in einen zunehmend verzweifelteren Clinch begibt und das Stück ansonsten im Dunkel versichert, beklagt wiederum Caspersen, dass alles verschwunden und verloren ist. Am Ende eines Stück, das zwischen Genie und Wahnsinn oszilliert und zwischen Lachen, Weinen und Zähneknirschen schwankt, existiert wie in Büchners Märchen nichts mehr: nicht Mensch noch Tier noch Landschaft; alles ist tot.

 

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