Nobeldefilee der Hausstars

Das Staatsballett Berlin leitete in der Lindenoper die Saison mit einer Gala ein

Berlin, 26/09/2008

Über den roten Teppich konnte in die Lindenoper schreiten, wer sich dazu berufen fühlte: Promis aller Couleurs wie auch der gemeine Zuschauer, der für sein Billett um die 100€ hatte hinblättern müssen. Auch bei der diesjährigen Eröffnungsgala des Staatsballetts flossen davon jeweils 10€ einem guten Zweck zu, heuer der ZNS – Hannelore Kohl Stiftung, die Menschen mit Schädigung des Zentralen Nervensystems unterstützt. Die dritte Ausgabe seines bewährten Edelspektakels zum Saisonauftakt bestritten Intendant Vladimir Malakhov und fast die gesamte Solistenequipe ohne Fremdhilfe, wiewohl noch bis vor Kurzem ein Gast aus New York annonciert war. Dass das aus neun Beiträgen bestehende Programm dramaturgisch gut gebaut war und nahezu jedem Geschmack, jeder Erwartung etwas bot, ist das erste Positivum des gut zweistündigen Abends. Wie vorteilhaft sich die Hausstars präsentieren konnten, ein weiterer Vorzug.

Gleich der einleitende „Grand Pas Classique“, „in der Tradition von Victor Gsovsky“, wie der Programmzettel vorsichtig anmerkt, setzte Maßstäbe und fügte den international kursierenden Versionen dieses noblen Festivalduetts eine weitere hinzu. Wenn Polina Semionova die Bühne betritt, ist allemal Festzeit: Wie viel Freude im bestechend souveränen Spiel mit der klassisch-akademischen Form sie ausstrahlt, wie charmant und nonchalant sie ihre kniffligen Drehkombinationen serviert, ist, neben dem vielgepriesenen idealen Wuchs, derzeit weit über die Kompanie hinaus einzigartig. Vladimir Malakhov, auch er in vornehmem Samtschwarz und mit Auftrittsapplaus bedacht, brachte als konzentrierter Partner ihre Vorzüge bestens zur Geltung. Mit ähnlichem Glanz konnte an diesem Abend noch eine zweite Ballerina aufwarten: Mit atemverschlagendem Raffinement zögerte Shoko Nakamura als Medora im Grand Pas de deux aus „Le Corsaire“ nach Pirouetten den Stand auf der Spitze hinaus, was für technische Sicherheit wie für ihre Rollengestaltung spricht. Dmitry Semionov, von hohem Wuchs und gleichermaßen kraftvoll hohem Sprung, war seiner Herrin im weißen Glitzertütü ein tänzerisch ebenbürtiger Sklave Conrad, wiewohl ihm ein Zugewinn an Austrahlung gut täte.

In August Bournonvilles posenseligem Pas de deux „Blumenfest in Genzano“, einem lieblich verspielten Teenager-Geplänkel voller beidermeierlich verschämter Blicke, vermochten eine strahlende Ludmila Konovalova und, so fußflink wie beständig in den Pirouetten mit Beinwechsel, besonders Rainer Krenstetter zu überzeugen. William Forsythes auch musikalisch metallischem Kracher „In the Middle, somewhat elevated“, einer fauchenden Attacke zwischen den Geschlechtern, heizte Nadja Saidakova mehr Kampfgeist ein als ihr zurückhaltend wirkender Partner Ronald Savkovic. Eher in seinem Element war er im einzigen heiteren Galabeitrag, Christian Spucks Maßanfertigung „Le Grand Pas de deux“ auf die Ouvertüre zu Rossinis Oper „Die diebische Elster“. Wie er in dieser krummbeinigen Persiflage auf Rivalität und hinterhältige Bescheidenheit seine bieder bebrillte, spielmutige Kontrahentin Elisa Carrillo Cabrera herumbugsiert, hatte erheblich entspannende Wirkung aufs Zwerchfell.

In zwei kaum vierminütigen Soli durften sich männliche Solisten ihrer Musik ausliefern. Marian Walter tat das in Gyula Pandis „Lacrimosa“ aus dem Mozart-„Requiem“ mit viel Sensibilität im Leiden und weiten Sprungwirbeln, Dinu Tamazlacaru mit überbordendem Temperament und noch mehr Sprungwirbel in Ben van Cauwenberghs Bürger-Karikatur nach Jacques Brels Chanson-Hit „Les Bourgeois“. Ronald Savkovics Duett aus dem geplanten Handlungsballett „Alexander der Große“ gibt wenig Aufschluss über das Ganze; schwülstig und sexistisch geriet die Konfrontation des Titelhelden mit seiner Gespielin Roxane, umgeben von sparsam kostümierten Fackelträgern, choreografisch kaum belangvoll. Leonard Jakovina agierte mit Anstand, Elisa Carrillo Cabrera gar mit Feuer. Choreografisch gediegen hingegen Clark Tippetts fast imperiales, unter Paul Connelly von der Staatskapelle konzertreif musiziertes „Bruch Violin Concerto No 1“ als Leihgabe aus dem aktuellen Repertoire des Staatsballetts. Gleich auf drei Uraufführungen dürfen sich dessen Fans freuen: „Caravaggio“ von Mauro Bigonzetti, Angelin Preljocajs „Schneewittchen“ zu Musik Mahlers, „Das flammende Herz“ um den Dichter Percy Shelley, choreografiert von Patrice Bart zu Musik von Mendelssohn Bartholdy.

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