Eine Ära in drei Stunden rekapituliert

Daniela Kurz verabschiedet sich mit ihrem Tanztheater von Nürnberg

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Nürnberg, 05/07/2008

Eine Zäsur der deutschen Ballett- und Tanztheaterszene? Nach Bonn (Johann Kresnik) und Essen (Martin Puttke) hat sich nun auch Daniela Kurz mit einer TANZgala nach zehnjähriger lokaler Tätigkeit von ihrem Nürnberger Publikum verabschiedet. Teils im Zorn (Bonn), teils in hohen Ehren (Essen), teils mit eher gemischten Gefühlen, denn in Nürnberg hätte Daniela Kurz gern weitergemacht, aber die angekündigten Verhältnisse unter dem designierten neuen Intendanten entsprachen nicht länger ihren künstlerischen Ansprüchen. Grund für ein großes Lamento? Doch eher Erstaunen über die Vielseitigkeit der deutschen Ballett- und Tanztheaterszene! Denn jede dieser Kompanien offerierte ein höchst unterschiedliches Programm.

Bonn setzte auf politische Agitprop-Propaganda und vertrieb damit das immer noch bildungsbeflissene Publikum der ehemaligen Kapitale. Essen spekulierte hingegen auf ein breites Programmspektrum zwischen kultivierter Klassik und kreativer Moderne – und sorgte so für eine Massenauslastung seiner Besucherstatistik. Nürnberg wiederum setzte auf ein ausgesprochen intellektuell spartenübergreifendes Tanztheater – und begeisterte damit die progressive Kritik und das Premierenpublikum, überforderte damit aber die Stammbesucher. Gern erführe man gelegentlich die wirklichen Auslastungszahlen der Vorstellungen, differenziert nach Kassenverkauf, Abo-Garantien und ermäßigten Gebühren (das gilt übrigens auch für andere Städte, inklusive Stuttgart).

In Nürnberg beschloss Daniela Kurz ihr Wirken mit einer dreistündigen TANZgala. Es wurde eine Reise durch zehn Jahre grenzüberschreitender Produktionen, beginnend mit Schuberts „Winterreise“ und endend mit dem Wunschbaum einer turbulenten Rutschpartie auf schiefer Ebene. Dazwischen gab es Stops bei „Hamlet“ und Glenn Gould, bei Edgar Allen Poe und Jean Cocteau, bei Galilei und dem Papst, bei Mozart und einer gewissen Emma Goldmann – und leider nicht auch bei Kaspar Hauser, dieser Kurz-Produktion mit dem direktesten Nürnberger Lokalbezug. Fast wurde so viel geredet wie getanzt und ungeheuer viel gelesen – aus Büchern, die sich auch als Schlaginstrumente bewährten, aus Briefen und einer Schwarte, die ich für den Talmud hielt, es wurde gesungen und auf der Szene auch musiziert, und es gab eine regelrechte Choreografie für einen Pianisten, der sein Klavier in immer schnelleren Runden umtourte.

Totaltheater also, von der siebzehnköpfigen und vierunddreißigbeinigen Truppe mit professioneller Bravour praktiziert – jede und jeder ein individuelles Kreativbündel. Die Beleuchtung pinselte japanische Kalligrafien auf den Boden und langstielige Räucherkerzen versprühten mystische Nebel. „KURZschluss“ war der Abend betitelt in Anspielung auf den Namen der Autorin und ihren Abschied aus der Stadt, die während ihrer Ära zu einer Stadt der Meistertänzer geworden war, und den sprühenden Funkenflug der Einfälle, die einander jagten, dass man mit dem Sehen und dem Verarbeiten der Wortkaskaden kaum nachkam. Und so gewann man den Eindruck, dass die gebürtige Stuttgarterin sich während ihrer Tätigkeit an der Pegnitz zu einer Magierin entwickelt hat, einer Prospera sozusagen, die am Staatstheater Nürnberg einen zehnjährigen TanzSTURM entfesselt hat, der längst sein eigenes Kapitel in der jüngeren deutschen Tanzgeschichte hat. Nur einer fehlte an diesem Abend, der dieses Kapitel leider nur bis zu seiner Halbzeit begleiten konnte, Bernd Krause, der sicher der verständnisvollste der kritischen Wegbegleiter von Daniela Kurz war.

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