Der Weg ist das Ziel

Das Ballett Nürnberg auf Recherche in Franken, Skopje, Venedig und Glasgow

oe
Ludwigsburg, 09/07/2005

Ehrensache für Wulf Konold, den neuen künstlerischen Leiter der Ludwigsburger Schlossfestspiele, der auch Intendant des Staatstheaters Nürnberg ist, das Prestigeensemble seines Hauses ins Forum am Schlosspark einzuladen! Und so reiste Daniela Kurz mit ihrem Ballett Nürnberg an und präsentierte in ihrer alten Heimat ihre jüngste zweiteilige Produktion mit dem nicht unbedingt publikumsträchtigen Titel „Wishbone-Tour – Wish eye wood“. Sie ist das Ergebnis einer aufwendigen Recherche, die die Kompanie ins fränkische Umland, nach Skopje, Venedig und Glasgow führte, Partnerstädte der „Meistersinger“-Stadt, wo die Einheimischen befragt wurden und jeweils ein „Wishbone“ – eine Art Maibaum der Wünsche – errichtet wurde, an dem sie auf Zetteln ihre geheimsten und nicht so geheimen Wünsche kundtun sollten.

Mit über zweitausend solcher Zettel nach Nürnberg zurückgekehrt, wurde dann daraus ein anderthalbstündiger Tanztalk gefiltert, an dem alle intensivst beteiligt waren, Daniela Kurz als Chefin natürlich, zuständig für Choreografie und Inszenierung, Benita Roth als Bühnen- und Kostümbildnerin, Olaf Lundt (mitsamt Kurz) für das Licht, Uwe Sommer (plus Kurz) für die Dramaturgie sowie ein umfangreicher Stab (darunter auch der in Stuttgart unvergessene Robert Conn als Choreografischer Assistent) – nicht zu vergessen die fünfzehn Tänzer des Ensembles, die ihre eigenen Erfahrungen einbrachten. Ein ehrgeiziges Unternehmen also, vom Publikum mit warmherzigem Beifall bedacht, der bewies, dass „Daniela“ hierzulande in bester Erinnerung ist – so dass mancher, wenn sie denn auch im Ludwisburger Foyer einen „Wunschbaum“ aufgestellt hätte, seinen Zettel daran geheftet hätte: „Ladet ‚Daniela‘ öfter nach Stuttgart ein!“

Wie hatten es doch die Choreografen im vorigen Jahrhundert leicht, Bournonville und Petipa beispielsweise –  und auch noch Fokine! Die informierten sich in der einschlägigen Literatur, ließen ihre Fantasie in die fernsten Regionen der Welt schweifen und schufen die herrlichsten Ballette, die noch heute das Publikum begeistern. Massine scheint dann der erste gewesen zu sein, der für seinen „Dreispitz“ und seine sonstigen Ethno-Ballette, über die Schotten etwa und die nordamerikanischen Indianer, sich an Ort und Stelle informierte. Heute reisen ganze Karawanen von Tanzleuten in Autos, Bussen und Flugzeugen im Gefolge von Pina Bausch und Joachim Schlömer durch aller Herren Länder und präsentieren dann ihrem erstaunten Publikum Zuhause die Ergebnisse ihrer Recherche. Die allerdings sind meist nicht halb so unterhaltsam wie weiland „Napoli“ oder „Bayadere“ – von ihrer Dauerhaftigkeit ganz zu schweigen.

Der Nürnberger „Wunschbaum“ bildet da keine Ausnahme. Der weitaus interessanteste Teil ist der halbstündige Film zum Auftakt, der die Recherche dokumentiert, die die Nürnberger in den verschiedenen Städten mit der lokalen Bevölkerung aus allen Schichten geführt haben – Typen und Charaktere sind darunter, die man nicht so leicht vergisst. Wenn sie dann anschließend in einer patchworkartigen Szenenfolge die choreografischen Sublimierungen ihrer Erlebnisse und die Wünsche ihrer Gesprächspartner präsentieren, begleitet von einem unaufhörlichen Gebrabbel und Gequassel – manchmal mehr, meist weniger verständlich –, zieht sich das Stück doch sehr in die Länge, seinen durchaus vorhandenen poetischen tänzerischen Stimmungsbildern und gelegentlichen humoristischen Eskapaden zum Trotz.

Dass Nürnbergs tänzerische Multikultitruppe sich total mit ihren Rollen als fränkische Weinbauern, bosnische Kriegstraumatisierte, venezianische Lebenskünstler und schottische Industrieproletarier identifiziert, steht außer Frage, und sie tanzen sich dabei ihre Seelen aus dem Leib. Zumindest bei mir haben sie indessen nicht den Wunsch geweckt, ins nächste Reisebüro zu eilen, um einen Trip nach Dinkelsbühl, Skopje, Venedig oder Glasgow zu buchen. Vielleicht ja aber nach Nürnberg, wo uns Daniela Kurz als nächstes ein Mozart-Ballett verheißt – auch ohne spezielle Recherche „Mozart kam nur bis Augsburg (beziehungsweise Ludwigsburg)“!

Kommentare

Noch keine Beiträge