„Se vuol ballare“ - oder Mozart auf die Tanzsprünge geholfen

Wie Mozart zwar nicht auf den Hund (Alain Platel), aber auf die Choreografen Daniela Kurz, Rui Horta, Ivo Bärtsch und Shang-Chi Sun gekommen ist

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Nürnberg, 23/04/2006

Keine Nürnberger Tanz-Lebkuchen (als lokale Antwort auf Salzburgs Mozart-Kugeln) bietet Daniela Kurzens in der letzten Spielzeit begonnenes Mozart-Work-in-Progress-Projekt, das jetzt im dortigen Opernhaus seine zweite Premiere hatte. Es heißt nach wie vor „ich bin knall und fall“ – ein Mozart-Zitat – und ist nicht zu ergänzen mit „auf Liebe eingestellt“ (das ist er sowieso immer), sondern zur Abwechslung aufs Tanzen. Auf allerdings eher ungewöhnliche Art. Denn das Bindeglied zwischen den vier Stücken von Rui Horta, Ivo Bärtsch, Daniela Kurz und Shang-Chi Sun liefert eine Auswahl der berühmt-berüchtigten „Bäsle“-Briefe.

Die werden rezitierend getanzt von Sergiu Matis und Maria Walser – und das ist wirklich höchst amüsant: ein getanzter Briefwechsel. Die Nürnberger Tanztheater-Chefin hat den geheimen Rhythmus dieser Briefe entdeckt – eine Korrespondenz des fortwährenden Kobolzschießens in Worten. Da rückt Mozart ganz dicht an Kurt Schwitters heran. Frech, witzig, auch zotig und dann wieder tiefernst – so kannte man diese Briefe bisher. Aber wie Kurz mit ihren beiden fetzigen Nürnbergern diese Absurditäten in Tanz übersetzt, lässt eine neue Dimension in Mozarts Sprache entdecken. Eine – vielleicht DIE – Mozart-Entdeckung des bisherigen Jubiläumsjahres!

Die eigentlichen Tanzstücke? Na ja! Rui Hortas „Mozart bitte“ – für drei plus drei Tänzerinnen und Tänzer zu einem Mix aus „Requiem“, „Zauberflöte“ und „Linzer Sinfonie“ (wie alles an diesem Abend aus dem Lautsprecher – auch die kammermusikalischen Piecen) spielt auf disparate Erfahrungen in Mozarts Leben an – ein choreografischer Eintopf aus der Mozart-Garküche, musikalisch recht schwer im Magen liegend. Ivo Bärtschs (ehemals Tänzer in Nürnberg, inzwischen freischaffender Choreograf in der Schweiz) Stück heißt „en sol mineur“ – zu Deutsch: „in g-moll“ und bezieht sich auf den ersten Satz aus dem Klavierquartett KV 478. Und wie tanze ich g-moll – etwa im Unterschied zu C-Dur?

Bärtsch stellt eine Außenseiterfigur drei Paaren gegenüber – ein Rebell gegen die Gesellschaft? Das wäre ein interessanter Mozart-Ansatz. Aber dafür mangelt es dem durchaus abwechslungsreichen Stück an markant herausgearbeiteten Kontrasten. Kurzens Eigenbeitrag nennt sich „Fuge“ und ist ein Duo für Samuel Delvaux und Ai Mochida zur nicht gerade sonderlich tanzeinladenden Orgelfuge g-moll (wäre ja vielleicht auch ein thematischer Wegweiser gewesen: g-moll, getanzt) – ohne biografische Anspielungen (jedenfalls habe ich keine entdeckt). Das ist flüssig choreografiert, mit skulpturalen Korrespondenzen – eine zweistimmige Körperpolyphonie sozusagen.

Mozart als Energiespender – immer erneuerbarer Energien, solange das Leben weitergeht. Ein Beitrag zur hoch aktuellen Energie-Debatte! Ich bilde mir ja ein, über eine lebhafte Fantasie zu verfügen, aber nach spezifischen Mozart-Assoziationen habe ich auch in Shang-Chi Suns „warum nicht?“ zum ersten Satz aus dem A-Dur Klarinettenquartett KV 581 vergeblich gefahndet. So what? Ja, die Choreografie schien mir viel zu verzappelt für die himmlische Serenität dieser Musik (eine der letzten Botschaften Mozarts, schon jenseitig verklärt). Aber das Stück für zwei Paare hat eine sehr lange musiklose Einleitung, und die fand ich geradezu genial: vier Tänzer, die sich zu einer schmalen hochgestellten Wand (sie erweist sich später als hochkant gekippter Tisch) wie ein lebendes Relief bewegen. Da sind dem jungen Mann aus Taiwan (ein Tänzer des Ensembles) die verblüffendsten Gruppierungen und Verschlingungen eingefallen: eine Wand, die lebt. Habe ich so noch nicht gesehen. Später wird der als mobiles Dekor umfunktionierte Tisch in den regulären Tanz einbezogen, aber das ist längst nicht so spannend wie der Beginn.

Nein, die „Meistertänzer von Nürnberg“ als Mozarts Antwort auf Wagner ist „ich bin knall und fall“ sicher nicht geworden. Aber als Mozarts Johannisnacht-Entertainment mit den Lehrbuben und Mädeln vom Richard-Wagner-Platz ist das Mozart-Projekt des Tanztheaters Nürnberg allemal ansehenswert!

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