Ein Kessel Buntes

„Junge Choreographen“ des Hamburg Ballett präsentierten sich in der Kampnagel-Fabrik

Hamburg, 17/09/2008

Choreografie, so sagte einmal Stuttgarts Ballettdirektor Reid Anderson, „bedeutet mehr als Schritte auf Musik zusammenzustellen“. Das ließ sich jetzt in Hamburg augenfällig bestätigen, als im Rahmen der Reihe „Junge Choreografen“ Tänzer des Hamburg Ballett am 14. und 16. September ihre choreografischen Gehversuche in der Kampnagel-Fabrik präsentierten. Acht Stücke unterschiedlichster Qualität reihten sich da hintereinander.

Den Anfang machte „The Rain“ der Jugoslawin Miljana Vracaric. Ein harmlos-nettes Stück für sieben Tänzerinnen und Tänzer, ohne großen Spannungsbogen. Auch „Arhil Gorky“ des Armeniers Arsen Megrabian für eine Tänzerin und drei Tänzer hinterlässt mehr Fragezeichen als Einsichten und bleibt oberflächlich-gesellig. Doch dann der erste Höhepunkt des Abends: „You never know“ von Yaroslav Ivanenko. Schon mehrfach fiel der 33-jährige Ukrainer mit seinen feinen, immer gut durchdachten Kompositionen auf, und diverse Preise hat er sich dafür auch bereits geholt. In „You never know“ spielt er mit dem Licht, baut damit ein Rechteck in den schwarzen Bühnenraum, in dem sich die wunderbar grazile Leslie Heylmann und der elegant-souveräne Alexandre Riabko begegnen. Seine Bewegungsmuster erinnern mit den aus der Senkrechte gekippten Balancen und der elektronisch-aufgepeppten Musik an William Forsythe, haben dann aber doch nicht dessen oft aggressive Dynamik und Präzision, sondern bleiben lyrischer, zurückhaltend gar. Bisweilen öffnet sich das Rechteck in die Weite, verdichtet sich dann jedoch mithilfe der Lichtkegel und engt den Bewegungsspielraum wieder ein. Ivanenko verwebt hier Mann und Frau zu intensiver Zweisamkeit ebenso wie zu distanziertem Fremdeln – und nie ist man sicher, ob die Innigkeit des Augenblicks nicht in der nächsten Sekunde schon umkippt in lähmende Kühle – „you never know“. Ivanenko ist damit sicher die souveränste Arbeit des Abends gelungen.

Aber auch „Reflet“ von Stefano Palmigiano besticht durch nachhaltig durchdachte Arrangements. Der Italiener lässt zwei Viererblocks von Männern und Frauen aufeinander los, die sich vielfach reflektieren – wobei unter den Paarungen vor allem Silvia Azzoni und Carsten Jung durch ihre Präzision und tänzerische Souveränität herausstechen. Das etwas abrupte Ende verblüfft und hinterlässt Ratlosigkeit. Yuka Oishi, die bezaubernde Japanerin, vermag diese jedoch sofort in ein Lächeln umzulenken – ihr „Under the Apple Tree“ zur Musik der vier kleinen Schwäne aus „Schwanensee“ und dem „Schwan“ aus „Karneval der Tiere“ von Saint-Saens atmet Witz und Phantasie, mit zahllosen liebevoll ausgedachten und präzise gesetzten Details. In Vladimir Hayryan hat Yuka Oishi einen kongenialen Partner für diesen spritzigen Pas de Deux. Konventioneller und von ebenso behutsamer wie leiser Eleganz dagegen Thiago Bordins „A Foreign Sound“ – ein Stück für drei Tänzerinnen in langen weißen Tutus und knappen roten Bustiers zu vorwiegend brasilianischem A-Capella-Gesang und dem von Harry Belafonte bekannten „Cucurrucucù Paloma“. Vor allem Hélène Bouchet und Patricia Tichy verleihen dem Stück die nötige Allüre, während Anna Laudere eher blass bleibt.

Umso drastischer der Kontrast zum Knaller des Abends: In „Herr Sprüngli“ des Schweizers Yohan Stegli findet der Gruppentänzer Konstantin Tselikov als melancholischer Clown zu solistischen Qualitäten, vor allem aber mutiert der hochgewachsene Edvin Revazov zum rattenschwanzbezopften, schweinchenrosa Riesenbaby-Schulmädchen, das dem traurigen Clown die Lebensfreude zurückbringt, was einfach nur rasend komisch ist. Als Rausschmeißer hätte sich dieses Stück wesentlich besser geeignet als das verschraubte, verquaste „Let’s keep it black“ von Orkan Dann, in dem deutlich wird, dass es noch lange nicht reicht, 11 Tänzerinnen und Tänzer in ständig wechselnden Kostümen (immer in schwarz) über die Bühne zu jagen, und auch der Effekt der aufgespannten Regenschirme oder der Badewanne auf schräger Ebene erschöpft sich rasch zu gähnender Langeweile im viel zu üppig verwendeten Bühnennebel.

Fazit: Ein Kessel Buntes aus dem Hamburger Ballett-Zentrum, einige vielversprechende Gehversuche, nichts wirklich Herausragendes. Dennoch: Solche Abende sind wichtig, auch wenn sie mehr Spreu als Weizen erkennen lassen – schließlich hat ein John Neumeier in der Noverre-Gesellschaft in Stuttgart ebenfalls klein angefangen, bevor er ein ganz Großer wurde. In diesem Sinne wünscht man sich mehr von solchen Vorstellungen – diese beiden waren für die gerade begonnene Spielzeit leider schon wieder die letzten. Schade.

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