Du schwarz. Ich weiß. Oder die selbstgerechte Grausamkeit der Guten

Gastspiel aus Uganda: „Memories of Child Soldiers”

Karlsruhe, 06/10/2008

Vermutlich gibt es derzeit zwischen 200.000 und 300.000 Kindersoldaten weltweit. Laut einem Radio-Interview mit Andreas Rister, Fachreferent der Hilfsorganisation Terre des Hommes, ist mit geschätzten 130.000 die Anzahl in Afrika am größten, weil dort die meisten Kriege geführt werden. Welche Interessen und welche Problematik stecken hinter diesen Kriegen? Wer profitiert davon? Wer rekrutiert die Kinder? Werden die Hintermänner, die Kinder zu Tätern und Opfern machen, zur Rechenschaft gezogen? Die Burudani Dance Company aus Uganda gibt bei ihrem Gastspiel im Tollhaus Karlsruhe darauf keine Antwort.

„Memories of Child Soldiers” (Erinnerungen von Kindersoldaten) heißt das Stück, in dem die Choreografin und Tänzerin Valérie Miquel versucht, das traumatische Erleben der ugandischen Kindersoldaten auf die Bühne zu bringen. Die Leiden der jugendlichen Kriegssklaven werden eher aus- als dargestellt. Wie Guerillakämpfer robben die acht Tänzer des ugandischen Nationalballetts durchs Unterholz. Mit Stöcken werden Killereinsätze gemimt. Einige der Jungs – zerfledderte Hosen, nackter Oberkörper - stürzen sich, eine Vergewaltigung imitierend, auf die einzige schwarze Tänzerin und auf die blond gelockte Choreografin. Springseil, Fußball und Plüschtiere sind Requisiten, mit denen eine quasinormale Kindheit, gar heile Kinderwelt suggeriert wird. Zwischen den Szenen wabert im Hintergrund der Schriftzug „Life goes on“ über die Videowand (Video: Cyril Ducottet / Mirco Keilberth). Davor im Schreitschritt – gestrecktes Bein, erst Zehen aufsetzen, dann den Fuß abrollen – paradieren Einzelne über die Bühne und vermitteln (ungewollt): auch der akademische Tanz hat Wurzeln im Militarismus.

Überzeugend sind die neun Tänzer, wenn sie zum differenzierten Trommelschlag des traditionell gekleideten Percussionisten Hermann Ssewanyana freien Lauf bekommen, mit der archaischen Wucht von Breakern und Capoeira-Tänzern improvisieren dürfen. Wäre die Thematik nicht so bedrückend, wären die Menschenrechtsverletzungen nicht so gravierend, könnte man die Produktion getrost als klischeebeladenen Betroffenheitskitsch abtun. Könnte blut- und feuerrote Lichteffekte sowie die zeichen- und computergetricksten Videobilder von brennenden Dörfern, kleinen ballernden Hubschraubern und einem gelben Teddybärchen vor bonbonfarbigem Pink, als redlichen Versuch werten, sich zum Sprachrohr des unerhörten Unrechts zu machen, das hin und wieder Worte findet wie: „Ich kann nicht schlafen, wenn ich an die schrecklichen Dinge denke, die ich als Kindersoldat tat.“

Aber so einfach ist es nicht. Das haben in Karlsruhe offenbar einige Buh-Rufer bemerkt, die sich zwischen den Applaus der Mehrheit der 130 Zuschauer mischen. Die in Sandhausen bei Heidelberg lebende Choreografin, die laut eigener Homepage auch Malerin und Bildhauerin ist, inszeniert sich auf penetrante Weise selbst. Sie rückt sich als Weiße in den Mittelpunkt, die im Auftaktstück „Black/White“ den drei Schwarzen generös die Hand zur Versöhnung reicht. Das ist nur ein Detail, das den eurozentristischen Blickwinkel, aus dem hier choreografiert wird, verdeutlicht. Ein Kenner der zeitgenössischen Tanzszene ist nach der Halbzeit derart sprachlos ob des latenten Rassismus, dass er das Weite sucht. Eine Karlsruher Tanzpädagogin sieht den Abend kritisch und merkt zu den „Erinnerungen von Kindersoldaten“ an: „Wenn ich ins Tanztheater gehe, möchte ich nicht sehen wie schön die Tänzer sich bewegen können, sondern was sie bewegt - um mit dem meist zitierten Satz von Pina Bausch zu sprechen. Man ist enttäuscht, wenn sich Choreografen ‚Tanztheater’ auf ihre Fahne schreiben und man sieht einen irgendwie mimisierten Tanz, und erfährt nichts wirklich Bewegendes zur versprochenen Thematik.“

Was das Projekt interessant macht, sind einerseits die vielen prominenten Träger und Befürworter, von der französischen und deutschen Botschaft in Uganda angefangen über das Goethe-Institut, die Robert-Bosch-Stiftung, World Vision und Brussels Air bis zu Arte-TV (auf der Homepage ist ein Interview mit der eloquenten Choreografin abrufbar), dem SWR (über den das Stück ans Tollhaus vermittelt wurde) und nicht zuletzt den Bundespräsidenten Horst Köhler, der laut Programmheft, bei einem Staatsbesuch „schwer beeindruckt“ gewesen sei. Zu enträtseln gilt es auf der anderen Seite die Ungereimtheiten, die sich um das Unternehmen ranken, das auf einem Poster die Völkerverständigung unter dem Motto „celebrating the french-german friendship“ vorantreibt. Nanü, 2007 wird die deutsch-französische Freundschaft in Uganda gefeiert. Das Tanzprojekt nennt sich dort „memories/amnesia“, Gedächtnis und Gedächtnisschwund? Klingt nicht nur ähnlich wie Amnestie, ist auch wortverwandt.

Und auch darum geht es im zu 85 Prozent christlichen Uganda, worüber das anfangs erwähnte Radio-Interview (vom April dieses Jahres) von Torsten Mandalka (Rundfunk Berlin-Brandenburg) mit dem Afrika-Experten Andreas Rister Aufschluss gibt.
„Ist denn die Anklagemöglichkeit, in Den Haag zum Beispiel, wirklich abschreckend, oder ist es nicht so, dass durch so eine Art Kriminalisierung der Warlords Erschwernisse existieren für Friedensschlüsse?“ Darauf antwortet Rister: „Ja, das ist natürlich immer eine abzuwägende und schwierige Frage. Ich habe gerade eine Information aus Uganda bekommen. In Uganda gibt es ja diese so genannte Lord-Resistance-Army, eine der grausamsten Rebellenbewegungen, die es überhaupt in den letzten Jahrzehnten gegeben hat“. „Sozusagen christlich-fundamentalistisch?“ fragt Mandalka dazwischen und Rister fährt fort: „Ja, so ähnlich. Und die haben Zehntausende von Kindern verschleppt und ermordet und in Nord-Uganda ihr Unwesen getrieben. Jetzt gab es da Verhandlungen, und eine der Bedingungen, dass diese Verhandlungen zum Abschluss kommen, war, dass die Lord-Resistance-Army der ugandischen Regierung gefordert hat, das Strafverfahren zu beenden. Aber immerhin, sie nehmen es ernst. Es ist nicht so, dass sie denken, was interessiert uns der Internationale Strafgerichtshof, sondern es handelt sich für sie schon um eine Drohkulisse.“ Doppelmoral? Christliche Nächstenliebe? Oder selbstgerechte Grausamkeiten der Guten? Wer mag angesichts dieser politischen Dimension noch über Tanz reden?

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