Der Tango als Welt-Erlöser

Joachim Schloemer mit "Tango La Queen" für die pvc Kompanie

oe
Freiburg, 31/05/2008

Schon lange nicht mehr des Tanzes wegen in Freiburg gewesen. Das war früher anders! Die Premieren von Kurt Paudler, Krisztina Horvath, Riccardo Duse und Pavel Mikulastik waren der (damaligen) „Stuttgarter Zeitung“ allemal einen Bericht wert. Erst das neue Modell des Engagements von Amanda Miller und ihrer Pretty Ugly Dance Company (mit den Vorschusslorbeeren von William Forsythe) – die sich für eine Anzahl von Vorstellungen am Ort verpflichtete, von der Infrastruktur des Freiburger Theaters profitierte (Proberäume, Werkstätten, Öffentlichkeitsarbeit) – und im Übrigen dafür sorgen sollte, den Tanzruhm Freiburgs in alle Welt zu tragen, sorgte für einen Umschlag in der Publikumsgunst. Die Kompanie verstand sich nie als ein in Freiburg residentes Ensemble, das Tanztheater speziell für diese Stadt machte. Zudem sorgten die Produktionen von Amanda Miller zwar für eine spürbare Einsparung an Energiekosten, da sie zunehmend im Dunkel stattfanden, verärgerten aber die Zuschauer, die die Tänzer meist erst bei den Schlussvorhängen zu Gesicht bekamen (inzwischen ist sie aus ähnlichen Gründen in Köln gescheitert). Was die Frage aufwirft, für wen manche der heutigen Theatermacher überhaupt Theater machen – ob für das Publikum ihrer Stadt oder zur Befriedigung ihres narzisstischen Profilierungsbedürfnisses.

Seit 2004 leistet sich das Freiburger Theater in Zusammenwirken mit dem Stadttheater Heidelberg eine neue, die pvc Kompanie, deren Name kein Publikumsvertreter versteht, und die im Programmheft klitzeklein als physical virus collective ausgewiesen wird. Ihr Chef ist Joachim Schloemer, Kurator eines Ensembles, das von Produktion zu Produktion neu zusammengestellt wird – mithin schwerlich je eine eigene Identität gewinnen wird. In ihren bisherigen Produktionen präsentierte sie sich als eine Kompanie, die mit ihren experimentellen Patchwork-Programmen kaum in der Lage war, das Interesse des Heidelbergers oder Freiburger Theaterpublikums auf sich zu ziehen – abseits von ein paar vermeintlich progressiven Insidern, die in Universitätsstädten wie Heidelberg oder Freiburg leicht für alle Arten von Anti-Establishment-Aktivitäten zu gewinnen sind. So krebste das pvc seit Jahren vor sich hin, zumal Joachim Schloemer vorzugsweise daran interessiert schien, sein Profil als Opernregisseur (siehe Stuttgarts „Rheingold“, Monteverdi-„Orfeo“ und „Die Trojaner“) zu schärfen als mit markanten Tanztheater-Produktionen eindeutige Zielvorgaben zu setzen.

Das hat er jetzt nachgeholt mit „Tango La Queen“, einer Tango-Show, 140 Minuten lang, die am 17. Mai in Freiburg Premiere hatte und in ihrer vierten von geplanten sechs Vorstellungen im gut besuchten Großen Haus mit langanhaltendem Schlussapplaus akklamiert wurde. Es ist eine Produktion, die mehr Fragen aufwirft als sie Antworten bereithält. Sie steht klar in der Nachfolge von Pina Bauschs „Café Müller“, indem sie zehn professionelle Tänzer und knapp zwei Dutzend Tango-Amateure zusammenbringt – wobei es schwer fällt, die einen von den anderen zu unterscheiden, wären da nicht drei Hauptrollen, ein Ball spielendes Kind, eine leiderfahrene Mutter und ein alles in Frage stellender Pinocchio-Clown – nebst dem Chef höchstpersönlich, Joachim Schlömer, der anfangs als trotteliger alter Mann das Motto „Tango-King“ auf den Eisernen Vorhang sprüht und am Schluss die Trommel rührt zum Todes-Tango, der indessen nur seine Unsterblichkeit signalisiert und mittels eines einzelnen Paares seine Wiedergeburt verheißt – als ewigen Tango-Kreislauf von Liebe und Tod, herbeigeschluchzt vom live aufspielenden Tango-Quartet um Thomas Jecker.

Es ist also eine andere Art von Tango-Show, als die, an die wir seit Kurt Weills „Der Zar lässt sich fotografieren“, von van Manens „5 Tangos“ und den diesbezüglichen Ambitionen von Barenboim, Gideon Krämer und Alfred Schnittke gewöhnt sind. Den ganzen ersten Teil bestreiten zuerst Projektionen von Frauen und Männern, die über ihre Erlebnisse berichten, wie sie zum Tango gekommen sind, und was er für sie – oft lebensverändernd – bedeutet. Erst nach einer guten halben Stunde tauchen im Hintergrund ein paar Tango-Tanzpaare auf, die aber von den Wohnzimmer-Turbulenzen der unterschiedlichsten Charaktere und Typen überlagert werden. In einer Endlosschleife, zur immer gleichen Musik des Tango-Quartetts, wiederholen sie die immer gleichen Verrichtungen: das Leben ein einziges Dacapo – wie Wiesel in der Trommel.

Das ändert sich im zweiten Teil, in dem Schloemer die Tänzer, Profis und Laien, in immer neuen Formationen als Gruppen, einzeln und meist in Paaren auf die Bühne schickt, unterbrochen von dem ballspielenden Kind, der lamentierenden Mutter und dem bösartig-obszönen Clown, der die schöne heile Welt des Tangos ins Chaos stürzt. Aus dem sie sich aber immer wieder aufrappeln um über Tod und Zerstörung zu triumphieren. Und wenn die ganze Welt zugrunde geht, ein Tangopaar bleibt immer übrig, das den ewigen Tango-Kreislauf von neuem startet.

In diesen Szenen erweist sich Schloemer als der clevere, erfindungsreiche und auch poetische Choreograf, der er sein kann, wenn ihn nicht gerade sein Ehrgeiz packt, sich als Mythenstifter zu etablieren. Das ist brillant instrumentiert und verdichtet sich zu Tableaux vivants von einer monumentalen Dringlichkeit, die mit Wucht über die Rampe branden. Da scheint dann Almodovár mit seinen besten Filmen ganz nahe. Doch ob nun Tango-King oder Tango-Queen: in einer knappen halben Stunde erzählt van Manen in seinen „5 Tangos“ mehr von den Glücks- und den Leiderfahrungen des Tangos als Schloemer in seinen ausufernden hundertvierzig Minuten!

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