Aus der Schlüsselloch-Perspektive

Das Cullbergballet mit Johan Ingers „Point of Eclipse“

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Ludwigsburg, 21/11/2008

Der Titel kann sich sowohl auf die Sonnen- wie auf die Mondfinsternis beziehen. Er bezeichnet das Sechzig-Minuten-Stück von Johan Inger, 2007 noch Chef des schwedischen Cullbergballets, als sein Beitrag zum 40-jährigen Jubiläum der Kompanie, die ihre gegenwärtige Deutschlandtournee damit eröffnete. Inger „benutzt das Geschick an sich als Standpunkt und fokussiert dann die Wichtigkeit von Basis und Sachlichkeit.“ Was immer damit gemeint ist.

Die Bühne im Ludwigsburger Forum am Schlosspark ist ein gähnendes schwarzes Loch (Jens Sethzman) – im Hintergrund ein kleines Viereck mit einer mattgelben Scheibe, die mir eher wie der Mond erschien, denn die Temperatur ist kalt, nachtkalt, der Raum von ständig wechselnden gleißend weißen Lichtschneisen durchschnitten. Einzelne Figuren, kaum unterscheidbar, in Schwarz – später stoßen drei männliche Wesen in Weiß dazu. Maximal werden's fünfzehn sein (wenn ich mich in der Dauerfinsternis nicht verzählt habe).

Ich komme mir vor wie ein Voyeur, der durch ein riesiges Schlüsselloch (das Bühnenportal) auf Bewegungsaktivitäten starrt, die mir absolut rätselhaft erscheinen, ausgeführt von Animateuren, die mir eher wie Figuren oder Wesen denn als Tänzer erscheinen – obgleich sie sich bewegen, wozu nur perfekt konditionierte Tänzer in der Lage sind, mit Windmühlenarmen und ausgreifenden Schritten und Körpervertwistungen – meist solo, nur ausnahmsweise als Partner – aber es gibt auch eine Stelle, wo vier von ihnen sich als Gruppe synchron bewegen. Sie benutzen ein vielfältiges Vokabular, das ja wohl von Inger konzipiert wurde und ihn als einen durchaus einfallsreichen Choreografen ausweist.

Figuren, Wesen – Menschen, Tänzer? Ich weiß nicht recht! Wie gesagt, ich komme mir wie ein Voyeur vor, der durch ein Schlüsselloch einem – verbotenen? – Ritual zusieht: Mondbewohner, Marsianer …? Man weiß ja, wie die Schweden dazu neigen, in der Mittsommernacht durchzudrehen. Vielleicht wollte Inger uns vorführen, wozu sie in einer Mondfinsternis in der Lage sind, wenn Jean-Louis Horta per Computer und Percussion den Weltraum aufheulen lässt. Jedenfalls eine höchst eigenwillige, nie langweilige Erfahrung – und sicher das Beste und Individuellste, was wir je von Inger zu sehen bekommen haben. Und das jetzt, nachdem er sich von der Leitung der Kompanie zurückgezogen hat! Jedenfalls übergibt er seinem/seiner Nachfolger/in eine Kompanie, die auf gleichem Niveau operiert wie das Nederlands Dans Theater (dem Inger mehrere Jahre als Tänzer angehörte) oder Nacho Duatos Compañia Nacional de Danza.

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