Zusammenprall zweier Generationen

Das Cullberg Ballet mit Choreografien von Mats Ek und Johan Inger

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Ludwigsburg, 23/06/2007

Sie sind Europas älteste Modern Dance Company – so altmodisch, dass sie es sich leisten können, sich noch immer Ballett zu nennen, obgleich sie doch zu den renommiertesten zeitgenössischen Truppen gehören: die Tänzer des schwedischen Cullberg Ballet. Offiziell 1967 gegründet, existieren sie als Kompanie bereits seit 1939, als die damals gerade einunddreißigjährige Birgit Cullberg ein paar Tänzer um sich versammelte und mit ihnen erste Vorstellungen im Off des Königlich Schwedischen Balletts gab. Schülerin von Kurt Jooss in Dartington/England und Martha Graham in New York, wurde sie zur prominentesten skandinavischen Pionierin des modernen Tanzes, arbeitete aber immer wieder auch mit klassischen Kompanien zusammen – in den fünfziger und sechziger Jahren häufig auch in Deutschland und schuf sich einen Namen als eine der Wegbereiterinnen des Fernsehballetts.

Ihr Sohn Mats Ek, Jahrgang 1945, als Tänzer und Choreograf künstlerisch geprägt durch seine Mitgliedschaft beim Nederlands Dans Theater und international bekannt geworden durch seine radikal moderne „Giselle“ (1982), beim Stuttgarter Ballett 1988 mit seiner „Wie Antigone“ zu Gast, übernahm 1985 die Leitung des Cullberg Ballet, die er 2003 an Johan Inger weitergab – auch er als schwedischer Tänzer und Choreograf beim Nederlands Dans Theater groß geworden, zu dem die Kompanie nach wie vor eine enge Beziehung unterhält. So ist das Cullberg Ballet bereits in der dritten Generation in schwedischer Hand – eine absolute Ausnahme unter den modernen Tanztruppen rund um den Globus.

Spuren von Müdigkeit waren jedenfalls nicht zu entdecken, als sie jetzt mit zwei Stücken jüngsten Datums bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen im dortigen Forum gastierten. Im Gegenteil: technisch brillant, stürzen sich die Tänzer mit geradezu tollkühner Bravour in die waghalsigsten Motionen und laokoonhaften Kontorsionen, fliegen sie durch die Lüfte, werden im minuziösesten Timing aufgefangen, knallen sie gegen Wände und auf den Boden, gehen sie aggressiv gegeneinander vor und finden dann doch wieder in wunderbar ausgewogenen ruhigen Phrasen zu harmonischem Gleichklang. „Aluminium“ heißt das Stück, das Mats Ek zu John Adams schon mehrfach vertanzter Komposition „Shaker Loops“ (1987 auch von Hans van Manen beim Stuttgarter Ballett) choreografiert hat – in dem die Tänzer mit Metalltellern und Essbestecken hantieren, dass man es für einen Werbespot der Württembergischen Metallfabriken halten könnte.

Bei Johan Inger hingegen ist es in „As if“ eine riesige, diagonal über die Bühne gespannte Wand, die wie eine Mauer die Tänzer trennt und auch wieder vereint, und die dann am Schluss wie ein rotierender Zylinder in immer heftigere Beschleunigung gerät. Wie beide Choreografen das Dekor und die Requisiten (bei Ek auch Tische und Lampen) in ihre Arrangements einbeziehen, scheinen sie sich tänzerisch zu verselbständigen und werden so zu mechanischen Partnern der Tänzer. Faszinierend zu beobachten, wie das, besonders bei Ek, im Einklang mit der Musik geschieht, während die Musik von Stefan Leven bei Inger eine mehr geräuschhafte Kulissenfunktion hat.

Dabei geht es immer um humane Konfrontationen – der Tänzer untereinander und in ihrer Auseinandersetzung mit der Welt um sie herum – einer Welt, die bei Ek zwar vielfache Brüche aufweist (auch in den Bewegungsabfolgen), die aber doch zu einer geheimen Ordnung findet, während sie bei Inger ständig vom Chaos bedroht ist (entsprechend auch die klamottenhafte Kleidung seiner Tänzer). Man kann die beiden Stücke auch als den Aufeinanderprall zweier Generationen interpretieren – wobei ich zugeben muss, dass die Generation von Ek meinen ästhetischen Ansprüchen weit mehr entspricht als die Generation von Inger, deren unverhüllte Aggressivität und Brutalität mir ausgesprochene Beklemmungen verursacht.

 

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