Auf dem Weg zu einem Kultobjekt

Sasha Waltz' „Dido and Aeneas“ nun auch auf DVD

oe
Stuttgart, 25/11/2008

Meine hier am 27.10.2006 geäußerte Begeisterung über Sasha Waltz' Berlin-Luxembourg-Montpellier-Koproduktion von Henry Purcells Tragic opera in three acts „Dido and Aneas“ als ‚Choreographic Opera‘ hält sich bei der Wiederbegegnung als DVD (bei Arthaus Musik, auf 101 311) eher in Grenzen. Die im Zusammenwirken mit dem ZDF entstandene Verfilmung aus der Berliner Staatsoper mit Sasha Waltz & Guests, der Akademie für Alte Musik Berlin und dem Vocalconsort Berlin besticht zwar nach wie vor durch ihre mitreißende musikalische Leitung von Attilio Cremonesi, wirft aber viele Fragen auf, die unbeantwortet bleiben – und die sich bei der Live-Begegnung nicht so direkt gestellt haben. Vor allem nach ihrer doch sehr eigenwilligen dramaturgischen Rekonstruktion (im Original circa 45 Minuten – hier 98 Minuten), deren Begründung und Erklärung ich mir detaillierter gewünscht hätte als sie das Programmheft mit dem Gespräch zwischen Waltz und Cremonesi und der bloßen Nummernabfolge liefert. Bestechend nach wie vor der Prolog mit dem Spiel der Tritonen und Nereiden im Aquarium und später dann die Luftnummer der beiden Trauerharpyien – auch die meisten der hochmusikalisch choreografierten Tänze für die Waltz-Kompanie und die integrierten Choristen (auch die zahlreichen Hände- und Fingerverhakelungen).

Mit anderem konnte ich mich weniger befreunden: mit den grimassierenden Verzerrungen der Kommentatoren, der Verdoppelung einzelner Rollen, der überkandidelten Flohmarkt-Kostümierung der Festszene (Christine Birkle), der eher überflüssigen, manierierten Ballettklasse. Aber auch die einzelnen Sängerleistungen standen den großen Standardinterpretationen nach, wie sie etwa von Kirsten Flagstad, Janet Baker und Jessye Norman konserviert worden sind. Die übrigens bei ihrem Gastspiel in England (das natürlich seinen Purcell in- und auswendig kennt) keineswegs so einhellig wie in Berlin aufgenommene Produktion bietet zu viel an eher Verwirrendem und Überflüssigem und lenkt damit vom eigentlich Wesentlichen ab: Purcells ungeheuerlicher musikalischer Verdichtung des beispielsweise bei Berlioz fünf Akte und meist zwei Vorstellungen, gekürzt zumindest fünf Stunden in Anspruch nehmenden Stoffes.

Deren diskutabelste Realisierung als ‚Choreografische Oper‘ trotz der auf dem Weg zum Kultstatus befindlichen Berliner Produktion ist die – ebenfalls nicht unproblematische – Version, die Mark Morris 1989 in Brüssel herausgebracht hat. Eigentlich verwunderlich, dass Pina Bausch noch nicht auf die Idee gekommen ist, Purcells „Dido and Aeneas“ zu inszenieren, obgleich sie doch die überwältigende Kraft dieser Musik bereits 1978 in einem Ausschnitt ihres „Café Müller“ entdeckt hatte. Übrigens noch eine unzusammenhängende Schlusspointe, die ich mir nicht versagen kann. Beim Stöbern in oe's elektronischem Lexikon entdeckt: der Forsythe-Titel: „Yes, we can't!“ (Hellerau 7.3.2008). Hoffentlich kein Omen für die bevorstehende Barack-Ära!

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