Zwei sehr unterschiedliche Interpretationen von „Cinderella“

Silvia Azzoni und Heather Jurgensen in der Titelrolle

Hamburg, 30/06/2007

Das Hamburger Ballett verfügt über eine Riege von exzellenten Ersten Solistinnen, und wie reizvoll sich das auf den Spielplan auswirkt, zeigt die erste und zweite Besetzung von John Neumeiers „Cinderella-Story“, die in dieser Spielzeit wiederaufgenommen wurde (siehe tanznetz vom 13.4.). Zum einen tanzt Silvia Azzoni die Titelrolle, zum anderen Heather Jurgensen. Schon äußerlich sind die beiden ein reizvoller Kontrast: Azzoni ist klein, blond, sehr zierlich, mit heiterer Ausstrahlung und einer blitzsauberen Akkuratesse bis in die Fingerspitzen, technisch brillant und von flinker, schwereloser Dynamik. Jurgensen dagegen ist größer und dunkelhaarig, von bestechender Balance und lang tragendem Atem, eine zurückhaltende feine, damenhafte Ballerina, mit edler Linie und von ausdrucksstarker, klassischer Schönheit vom Scheitel bis zur stets exakt gestreckten Fußsohle.

Azzoni gibt in Cinderella den trotzig-bockigen Teenager, der gegen die blöde Stiefmutter (wunderbar zickig: Joelle Boulogne) und ihre verzogene Brut wild aufbegehrt, aber auch verspielt und schmusig den Vater (den Lloyd Riggins großartig als hilflosen, aber liebenswerten Schwächling zeichnet) umschmeichelt, und sehnsuchtsvoll-staunend der verstorbenen Mutter (sehr würdevoll: Laura Cazzaniga) begegnet. Die Liebe zu dem in seiner künstlerischen Versponnenheit eher unprinzlichen Prinzen (brillant: Alexandre Riabko) ist bei ihr jung, unschuldig und von heiterer Erfüllung.

Jurgensen dagegen haucht dem Aschenputtel eine Melancholie ein, die den Zuschauer vom ersten Moment an auf geheimnisvolle, rätselhafte Weise in Bann schlägt. Ihre Cinderella ist ein junges Mädchen, das in seiner Ernsthaftigkeit schon Reife ahnen lässt, und vor allem eine scheue Verletzlichkeit. Wenn sie gegen die böse Stiefmutter (wunderbar blasiert: Anna Polikarpova) opponiert, tut sie das zwar entschieden, aber mit bereits erkennbarer Resignation – wohl wissend, dass gegen so viel Arroganz Widerstand zwecklos ist. Den Vater (eher blass: Dario Franconi) liebt sie hingebungsvoll, aber auch verständnislos-distanziert ob seiner Schwäche, während sie dem Prinzen (temperamentvoll und sensibel: Ivan Urban) von vornherein mit sicherer Gewissheit um die Unausweichlichkeit ihrer schicksalhaften Verbindung begegnet – ganz Tochter der von ihr innig verehrten Mutter (sehr fein und von ätherischer Eleganz: Barbara Kohoutkova).

Beide Interpretationen sind – jede auf ihre Art – überzeugend und sehr sehenswert. Das Stück selbst ist es sowieso, nicht nur wegen der reizvollen und abwechslungsreichen Choreographie John Neumeiers, sondern ebenso wegen der bestechend schlichten und dadurch umso wirkungsvolleren Ausstattung durch den Großmeister des Bühnenbilds und der Kostüme: Jürgen Rose. Die letzte Vorstellung mit Heather Jurgensen findet am 5. Juli statt, dann erst wieder in der nächsten Spielzeit im Januar 2008.
 

Link: www.hamburgballett.de 

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