Vladimir Malakhov, Tänzer und Intendant

„So wie die Callas singt und spielt, so wollte ich tanzen“, erzählt Malakhov anlässlich seines 20-jährigen Bühnenjubiläums im Gespräch

Wien, 15/02/2007

Herr Malakhov, Sie feiern dieser Tage Ihr zwanzigjähriges Bühnenjubiläum mit einem großen Gala-Programm. Welche Bilder fallen Ihnen ein, welche Emotionen kommen hoch, wenn Sie an Ihre Anfänge als Tänzer zurückdenken? 

Vladimir Malakhov: Nervosität, ich bin immer nervös, damals wie heute, aber es ist eine positive Nervosität, sie gibt mir Kraft und sobald ich auf der Bühne stehe, ist sie vorbei, dann bin ganz in der Rolle. Die Bilder in meinem Kopf hängen jeweils von der Rolle ab, auch die Emotionen sind je nach Rolle sehr unterschiedlich. Die Feierlichkeiten zu meinem 20-jährigen Bühnenjubiläum lassen mich nach vorne blicken. Auf weitere 20 Jahre, in denen ich all das finden kann, was ich in den ersten 20 Jahren auf der Bühne noch nicht gefunden habe. 

Was war der Ausschlag gebende Grund für Sie, den Tanz zum Beruf zu machen? Beziehungsweise was treibt sie heute an, auf die Bühne zu gehen? Was steckt dahinter? 

Es war der Traum meiner Mutter und ich wollte diesen Traum meiner Mutter wahr werden lassen. Ich habe immer gerne getanzt, es war immer eine normale Form des Ausdrucks für mich. Ihr Traum wurde zu meinem Traum. Es ist eine Freude für mich zu tanzen und ich genieße jede Minute, jede Sekunde. Ich arbeite hart und mein Ideal war und ist immer die Callas. Wie sie singt und spielt, so wollte ich tanzen und spielen. 

Tanzen ist ein physisch harter Beruf. Fühlen Sie sich anders als vor Jahren und was fühlen Sie anders? 

Ja, klar! Der Körper ist nicht mehr der gleiche. Der Körper wird älter und ich muss heute mehr auf mich aufpassen. Ich muss meinen Körper sorgfältiger aufwärmen und mich mehr auf die Bewegungen vorbereiten als früher. Der Körper ist nicht mehr so weich und flexibel, sondern er muss bearbeitet werden, um beweglich zu sein. Der Umgang mit dem Körper ist ein anderer. Es wäre schön, im gleichen Alter zu sein, wie ich es heute bin, mit all den Erfahrungen und trotzdem den Körper von damals zu haben. 

Es heißt, der russische Stil im Ballett sei ein besonderer. Gibt es diesen russischen Stil (noch) und wie würden Sie ihn beschreiben? (Ich bin da ganz sicher, glaube auch, den beschreiben zu können…) 

Ich glaube, es ist nicht eine Frage des Stils, sondern der Schulung. Egal wie talentiert oder begabt ein junger Tänzer ist, eine bestimmte, ernsthafte Art zu arbeiten und die Arbeit mit dem Körper ernst zu nehmen, kann man in der Schule lernen, ob man sie dann annimmt oder wie hart man an sich arbeitet, hängt von dem Einzelnen selbst ab. Natürlich gibt es eine Art Stil, aber man muss für alles offen sein. Und selbst die gleiche Bewegung ist niemals dieselbe. Es ist eine Frage, wie man die Dinge repräsentiert – das ist es. 

Bei einem Symposium in München letzte Woche über Rekonstruktion und Neuschöpfung stritten sich Russen (Wikharev und Gershenzon, Burlaka), Amerikaner (Fullington), Engländer Crisp) und Deutsche über „Was ist Petipa?“ und „Wie original ist das, was wir heute auf den Bühnen sehen.“ Was bedeutet Marius Petipa und sein Erbe für Sie? 

Zu allererst ist sein Werk eine unerschöpfliche Quelle, eine Goldgrube. Der Zweite Akt in „Schwanensee“ zum Beispiel, das ist Petipa oder das Rosenadagio in „Dornröschen“. Aber all die Dinge dazwischen, da weiß man nicht, ob Petipa es genauso gemeint hat, wie es getanzt wird. Niemand weiß es. Jeder hat seine eigenen Gedanken und Gefühle. Und man kann die Dinge nicht wiederholen oder genauso machen, wie sie waren. Denn ich weiß nicht genau, wie Petipa die Dinge gemeint hat. Ich kann nicht sagen, wie es genau war, sondern es ist immer nur ein sich Annähern, ein Vermuten, dass es so oder so gemeint sein könnte. Zum Beispiel „SYLVIA“, die nächste Premiere des Staatsballetts Berlin. Christopher Newton hat Frederick Ashtons „SYLVIA“ rekonstruiert und man kann sagen, dass die Schritte sicherlich genauso waren, wie sie aufgeschrieben sind, aber die Technik war damals nicht so wie heute. „SYLVIA“ in der Rekonstruktion von Christopher Newton ist technisch sehr anspruchsvoll, das war damals noch nicht möglich, denn die Körper waren andere. Zum Beispiel Margot Fonteyn, obwohl sie der Inbegriff eines ganz bestimmten Ballerinentyp ist, war sie technisch nicht so stark wie es Tänzerinnen heute sein können. Heutzutage werden Choreographien häufig erweitert, um sie technisch anspruchsvoller zu machen. Damals liefen die Ballerinen mehr, sie konnten nicht so hoch springen und waren lang nicht so flexibel wie es Ballerinen heute sein können. 

Wie wichtig ist historisches Material für Sie? Wie gehen Sie damit um? Sie haben u. a. „Dornröschen“ neu inszeniert, „La Bayadere“ auf die Bühne gebracht? 

Ich mag das alte Material, es ist sehr wichtig für mich. Ich kann mit einem historischen Material umgehen und ihm folgen, darin Dinge für mich entdecken, sie verwenden und Neues hinzufügen. Ich versuchte bei „Dornröschen“ zum Beispiel, das Ballett zu kürzen und verständlicher zu machen, damit das Publikum folgen kann und nicht nach einer gewissen Zeit die Konzentration verliert. Für mich ist es wichtig, dass das Publikum einer Choreographie ganz konzentriert folgen kann. Aber heute ist alles schneller und kürzer und deshalb versuche ich meine eigenen Choreographien daran anzupassen. Aber es gibt auch Momente, die sind unantastbar. Wie das Rosenadagio in Petipas „Dornröschen“. 

Sie sind vom Tänzer zum Ballettmeister und zum Ballettdirektor gewachsen. Die Stadt Berlin hat sie offenbar überzeugt? 

Ich mag Berlin und arbeite sehr gerne hier. Besonders die Arbeit als Intendant der größten Compagnie Deutschlands ist mir wichtig. Sie ist eine Herausforderung und mir ist daran gelegen, das Staatsballett Berlin voranzubringen und international zu positionieren. Das Repertoire um neue Choreographien zu erweitern und unterschiedliche Choreographen dafür zu gewinnen, eigene Kreationen für das Staatsballett Berlin zu entwickeln. Ich möchte, dass die besten Tänzer in Berlin tanzen und dass sie hier eine Möglichkeit haben sich zu entwickeln. Genauso ist es für meine eigenen Arbeiten. Es war nicht jemand, der mich überzeugen musste zu bleiben, es ist keine Frage „of staying“, sondern es war meine Entscheidung all diese Herausforderungen anzunehmen und mich in Berlin niederzulassen und ich bin froh über diese Entscheidung. Es gibt hier so viel zu tun, man braucht Wochen, Monate, um alles zu entdecken. Und ich kann auch nicht alle Möglichkeiten wahrnehmen, die diese Stadt bietet. Für mich ist Berlin eine sehr lebendige Stadt mit einer wundervollen Atmosphäre. Mein Leben ist nun hier, in dieser Stadt und ich erfreue mich daran jede Minute. Ich bin sehr glücklich in Berlin.

Wohin möchten Sie das Staatsballett künstlerisch in den nächsten Jahren führen? Welche Form, welches Image geben Sie Ihrem Ensemble? 

Ich habe immer gesagt, es ist ein langer Prozess eine neue Compagnie aufzubauen und zu etablieren. Und ich möchte ein vielfältiges Repertoire aufbauen. Die 88 Tänzer aus den unterschiedlichsten Nationen (insgesamt 26) müssen zu einem Ensemble zusammenwachsen. Das Publikum muss angesprochen und überzeugt werden von der Arbeit, den Vorstellungen der Compagnie. Und für die Zukunft möchte ich eine junge Generation als Publikum gewinnen und ihr Interesse für das Ballett wecken. Dafür habe ich ein Education-Programm aufgebaut. Aber es ist auch wichtig große Tourneen zu unternehmen. Alle diese Aktivitäten des Staatsballetts Berlin folgen dem Leitsatz: „die Tradition zu wahren, die Gegenwart sichtbar machen und die Zukunft fördern“. Mein Ziel ist es, gemäß diesem Leitbild das Staatsballett Berlin unter den führenden Compagnien weltweit zu etablieren und in der Welt bekannt zu machen.

Shoko Nakamura, in Wien zur Solistin geworden, tanzt seit Herbst bei Ihnen. Sind Sie zufrieden mit Ihrer Entscheidung? 

Ich bin sehr glücklich, dass Shoko Nakamura nun in meiner Compagnie tanzt. Sie ist sehr talentiert, sie hat das Potential einer großen Tänzerin und sie ist intelligent. Alle Choreographen, die nach Berlin kommen, wollen mit ihr arbeiten. Außerdem erhält sie viele internationale Einladungen. Und wenn sie in Berlin nicht gebraucht wird, lasse ich sie auf internationalen Bühnen tanzen. Seit Herbst hat sie beim Staatsballett Berlin fünf Debuts gegeben, darunter ihr Rollendebut in „Cinderella“. Am 4. März wird sie zum Ersten Mal Odette/Odile in Berlin tanzen. Für Tänzer ist es wichtig, die bekannten Choreographien immer wieder in anderen Versionen, von anderen Choreographen und mit neuen Partnern zu tanzen. Dieser Austausch ist für die Weiterentwicklung eines Tänzers wichtig.

Wie wichtig ist Ihnen zeitgenössische Choreografie und wie wählen Sie diese Programme aus? Nach welchen Gesichtspunkten? 

Natürlich sind zeitgenössische Choreographien wichtig, auch für klassische Tänzer, weil in diesen Werken, ganz andere Muskeln benötigt und somit ausgebildet werden. Klassisch geschulte Tänzer können ihren Körper in zeitgenössischen Choreographien neu entdecken und weiterentwickeln. Das hat auch einen Einfluss auf den klassischen Tanz und den Ausdruck der Tänzer. Deshalb versuche ich für das Staatsballett Berlin auch zeitgenössische und moderne Choreographen zu finden. In der nächsten Spielzeit, soviel sei an dieser Stelle schon verraten, werden wir einige neue zeitgenössische Stücke neben dem klassischen Repertoire auf dem Spielplan stehen haben. 

Wien hat immer wieder um sie als Direktor gebuhlt? Warum haben Sie 2004, ich glaube das war das letzte Mal, als Sie in Wien im Gespräch waren, nicht zugesagt?

Weil ich Berlin hatte, mhmh, das ist eine schwierige Frage, aber es war meine Wahl weiterzugehen. Ich habe viele Freunde in Wien und es war nicht leicht zu den Kollegen in Wien „goodbye“ zu sagen, aber gleichzeitig war es einfach nach Berlin zu gehen, denn dort warteten bereits viele Aufgaben auf mich. 

Viele der Jahre, die Sie im so genannten Westen tanzen, haben Sie auch an der Wiener Staatsoper getanzt. Sie haben ja auch die österreichische Staatsbürgerschaft. Was für einen Stellenwert hat die Stadt Wien für Sie, welchen Ihr Publikum? 

Das Ballett der Wiener Staatsoper war meine erste Compagnie. Für mich war es schön und bedeutsam dort meine internationale Karriere begonnen zu haben. Aber ich suche immer nach neuen Herausforderungen, ich gehe immer weiter. 1991 war ein guter Anfang in Wien und ich mag die Stadt und das Publikum und ich komme immer wieder zurück. Für mich ist es eine normale Bewegung, immer wieder zu gehen, aber auch dorthin zurückzukehren, wo ich mich wohl gefühlt habe und wo mir etwas gegeben wurde. Ich bin Wien sehr dankbar, dass ich damals dort meine Karriere beginnen konnte und auch dem Staat Österreich. Aber ab einem gewissen Zeitpunkt war es auch wichtig, weiterzugehen. Die Gastauftritte in sind Wien sehr wichtig für mich, denn ich fühle eine starke Verbindung zu der Stadt und dem Publikum dort.

Sie tanzen in Wien in dieser Spielzeit noch den Lenski in Crankos Onegin und den DesGrieux in MacMillans Manon. Was zeichnet diese Rollen aus? Und was ist Ihnen wichtig daran? 

Lenski war eine meiner ersten Rollen, damals 1989 in München. In den vergangenen Jahren habe ich diese Rolle immer mehr entwickelt. Es wird ein wichtiger Moment sein, Des Grieux nach über zehn Jahren wieder in Wien zu tanzen. Ich freue mich darauf. 

Wie sehen Sie Ihre Zukunft? 

Solange wie es möglich ist, möchte ich tanzen. Und es ist wichtig für mich, dem Publikum immer wieder eine Freude zu bereiten und selbst Freude am Tanzen zu haben, mit verschiedenen Choreographen zu arbeiten, neue Rollen zu erarbeiten und Freude zu haben. „That is it!“ 

Was wünschen Sie sich? 

Gesundheit. Aber ich habe auch viele andere Wünsche und Träume, aber darüber kann ich nicht reden, denn es gibt ein Sprichwort, das besagt, dass die Träume nicht wahr werden, wenn man darüber spricht.
 

Links: www.malakhov.com www.staatsballett-berlin.de

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