Unter Freunden

Geglückte Doppel-Hochzeit: Robbins' „Dances at a Gathering“ und Béjarts „Gaîté parisienne“

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Stuttgart, 11/04/2007

Also gut, ich gebe mich geschlagen! Denn die Karfreitagspremiere des Stuttgarter Balletts mit einem Robbins-Béjart Programm wurde, Informanten zufolge, ein rauschender, von keiner Publikumsminorität in Frage gestellter Erfolg. Offenbar hatte ich die Sensibilität des Stuttgarter Publikums in puncto Rücksichtnahme auf religiöse Empfindlichkeiten überschätzt. Und auch vom Ordnungsamt der Stadt, sonst doch auf strikte Einhaltung des Verbots von öffentlichen Tanzveranstaltungen an Tagen wie diesem bedacht, sah man keinen Grund zum Einschreiten. Was den gewagten Umkehrschluss zulässt, dass ein Ballettabend in Stuttgart heutzutage von vornherein mit dem Qualitätssiegel der künstlerischen Seriosität versehen ist. Weit haben wir uns inzwischen in Stuttgart von den Bedenken entfernt, an die Walter Erich Schäfer noch 1975 in seinen Memoiren erinnerte, als er auf die Zumutung eines Ballettabends anstelle einer Opernvorstellung von einem Abonnenten gemaßregelt wurde, „ein solches Zerrbild des Lebens statt einem Opernkunstwerk vorgesetzt zu bekommen“.

Ein Unbehagen bleibt gleichwohl, so dass man dem Ballettintendanten wünscht, er möge einmal einen Blick in Afa-Wossen Asserates „Manieren“ werfen (und einen zweiten auf die graphische Konzeption der Programmhefte, damit nicht wieder ein so benutzerfeindliches Format ausgeheckt wird). Denn ein voller, triumphaler Erfolg war auch diese dritte Vorstellung des neuen Programms – ein Abend des vollkommenen Einvernehmens zwischen Bühne und Publikum, dessen Bogen vom Olymp, aus dem Chopin und Offenbach via Glenn Prince, James Tuggle und dem Staatsorchester ihren Segen erteilten, bis ins Große Haus reichte – über die Generationen hinweg, von der Grand Mère des Balletts (Marcia Haydée in ihrer besten und reichsten Rolle seit ihrem offiziellen Abschied vor gut zehn Jahren) bis zu den jüngsten Eleven der Cranko-Schule. Und so wurde es eine große Familienfeier, mit all den Müttern und Vätern, Onkels und Tanten, Söhnen und Töchtern auf der Bühne, und im Publikum sah man viele, die seinerzeit noch unter Cranko vom Ballettvirus infiziert worden waren, und die hier nun ihre Enkel bei ihrem Theaterdebüt begleiteten.

Und das Schöne war, dass die Vorstellung wirklich allererste Qualität bot – eine choreografisch-tänzerische Qualität, wie sie durchaus nicht länger selbstverständlich ist. Und noch schöner: die vom Herzen kam und von den Herzen der Zuschauer auf die Bühne zurückschwappte. So ganz und gar menschlich kann Ballett sein! Robbins‘ „Dances at a Gathering“, Jahrgang 1969 – heute können wir sagen: ein Jahrhundertwerk – ein Ballett über die Liaisons amoureuses junger Menschen, die miteinander durch ihre Arbeit verbunden sind – und Béjarts „Gaîté parisienne“, zehn Jahre jünger, eine phantasmagorische Revue über alles, was unseren Freunden von jenseits des Rheins auf dem Theater lieb und teuer ist: welch ein Kosmos der Temperamente und Charaktere. Und mit welch einer Lust, die Füße gekitzelt von den Stromstößen der Musik, die Augen blitzend vor Schalk und Übermut, die Tänzer in sie hineingeschlüpft sind: die Kang und die Amatriain und die Wünsche, der Kaniskin und der Barankiewicz und der Reilly und der Rademaker – und bei Béjart dann auch der Zaitsev und der Gauthier, der Jelinek und der Lee (warum kriegen wir den neuerdings so selten zu sehen?) – und all die Kohorten von Ballerine und Ballerini – welch eine United Nation der Tänzer auf der Bühne des Großen Hauses. Und das in Stuttgart, mitten in der Provinz! Fazit: ein Ballettabend, wie ihn derzeit keine andere Stadt in Deutschland zu bieten hat. Nichts wie hin!

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