Der Stoff, aus dem die Träume sind

Ein Shakespeare-Ballettabend beim Leipziger Ballett

Leipzig, 16/04/2007

Der neue Leipziger Ballettdirektor Paul Chalmer stellt sehr schöne Programme zusammen; fürs nächste Jahr ist bereits wieder ein interessanter Bach-Ballettabend ankündigt. Der Nachfolger von Uwe Scholz steht in Leipzig vor der schweren Aufgabe, mit einer stark verkleinerten Truppe das Erbe des früh verstorbenen deutschen Choreografen zu bewahren, das hauptsächlich aus groß besetzten, sinfonischen Balletten besteht. Groß besetzt aber funktioniert in Leipzig zur Zeit ohnehin nicht, denn die Oper wird renoviert und die kammerspielartige Ausweichspielstätte befindet sich auf der Hinterbühne, wo man als Zuschauer sozusagen von der falschen Seite auf die Vorderbühne sieht.

Drei Uraufführungen präsentiert der neue Ballettabend „Shakespeare made in Leipzig“, alle inspiriert vom wahrscheinlich meistvertonten und meistvertanzten Autor der Welt. Eigentlich eine schöne Idee - nur die Ausführung macht nicht glücklich. James Baileys einstündige Version von „Der Sturm“ ist im Grunde eine Pantomime, kein Ballett. Der britische Choreograf und Filmautor, ehemals Solist beim Ballett der Deutschen Oper Berlin, spult das Märchen von Prospero und seiner fantastischen Insel als brav posierendes, gestisches Bewegungstheater herunter, in der einzig vier Feen eine arg beliebige Balletteinlage bekommen. Miranda und Ferdinand, das junge Liebespaar, schweben ein wenig Arm in Arm wie Ginger und Fred, Prospero wird en travestie und mit fernöstlicher Weisheit von Kiyoko Kimura geschritten, drei Göttinnen sitzen als Kostümständer für glitzernde Broadway-Kostüme auf Schaukeln.

Zum Schluss saust die Hexe Sycorax auf Rollschuhen herein, aber da hat schon lang keiner mehr Lust zu lachen. Für einen Hauch Exzentrik sorgen Jan Dieckmanns Kostüme, die in vielen kurzen Häppchen eingesetzte Musik der Engländerin Errollyn Wallen, aber klingt epigonal und trocken.

Ehrlicher (und vor allem: kürzer!) wirkt die skizzenhafte Szene „Lady“ des Leipziger Tänzers Martin Chaix. Der Franzose lässt deutlich mehr tanzen, aber auch er übersetzt seine Vorlage eins zu eins, ohne Überhöhung oder Veränderung. Zu einer kratzenden Callas-Einspielung der Wahnsinnsszene aus Verdis „Macbeth“-Vertonung scheinen die Schotten von den Toten aufzuerstehen, so viel Staub schütteln sich Macbeth, Banquo und Duncan aus den Haaren, bevor in einem langen weißen Mantel die Lady selbst auftritt - wiederum Kiyoko Kimura, deren beherrschende Präsenz für den Wahnsinn der mörderischen Lady vielleicht ein wenig zu kühl bleibt. Sie watet durchs Blut und geißelt sich mit ihren überlangen Ärmeln, was am Schluss immerhin zu einer faszinierenden Tropfenchoreografie taugt.

Marco Goecke hat sich kein Shakespeare-Drama vorgenommen, sondern er ließ sich von den Sonetten inspirieren, und das ist ganz wörtlich gemeint, denn als einziger der drei Choreografen bildet er nicht eine Handlung auf der Bühne ab, sondern er lässt er über Shakespeare tanzen. Popstar Sting singt Lautenlieder von John Dowland, die Stimme von Shakespeare-Darsteller Joseph Fiennes wispert von Schlaf und Traum aus „The Tempest“, die wenigen Kostümzutaten suggerieren Renaissance - verzierte Lederhandschuhe, ein Spitzenkragen um den nackten Hals. Goeckes Grundausstattung aus dunkler Bühne, schwarzen Hosen und Jacken lässt sich mit ein paar Accessoires in jede gewünschte Richtung tönen. Wie in jedem Goecke-Stück kommt auch hier unweigerlich irgendwann der ironische Bruch, für den Sting vorgesorgt hat, denn schon auf dessen Dowland-CD ist die Verwechslung des Renaissancekomponisten Robert Johnson und des gleichnamigen amerikanischen Bluessängers für einen Lacher gut.

Auch die rätselhaften Geräusche sind wieder da: Küsse hallen durch die Dunkelheit (manchmal wird der eigene Körper damit überhäuft), Pferdehufe klappern, Stöhnen und Hupen dringen von draußen herein. Das alles gehört zu Goeckes Idiom wie das Kolibri-Flattern der Hände, das Klatschen auf den Körper, der Zitterkrampf am ganzen Leib. Ob Wiederholung oder persönlicher Stil: Beim Stuttgarter Hauschoreografen muss man immer ein bisschen genauer hinschauen, auch bei diesem Ballett der Flüchtigkeiten. So hinterlassen zum Beispiel die Hände Lichtspuren im Dunkel, und je schneller sie bewegt werden, desto verwischter und irrealer sehen diese Spuren aus - für den Bruchteil einer Sekunde entsteht so ein Herz aus Licht in der Luft, so flüchtig wie Prosperos Luftgeister.

Marco Goecke hat zu Shakespeare ein Spiel mit dem Licht inszeniert - ein Lämpchenmeer führt links ins Unendliche hinaus, Wunderkerzen blühen auf und ihr Verlöschen stürzt die Bühne in Dunkelheit. Der Choreograf überträgt den homoerotischen Grundton der Sonette (Shakespeare hat sie einem mysteriösen, schönen jungen Mann gewidmet) in ein sinnlich-gefährliches Duo für zwei Männer, die sich blind, wie Ertrinkende abtasten. Wir sehen die Tränen des Liebenden, wir sehen schwarze Zettelchen wie verlorene Verse von den Anzügen davonflattern. Mit Shakespeare hat Goecke den Poeten für sein Schattenreich aus Nacht und Traum gefunden; er übersetzt die metapherntrunkene Liebeslyrik der Sonette in eine Poesie der Bewegungen und eine Magie der Bilder. Am Schluss knipst ein Tänzer mit einem Schnipp das Lichtermeer aus und verabschiedet sich mit der stummen Verbeugung, die inzwischen Goeckes Markenzeichen ist - der Dank des Gauklers an sein Publikum.

 

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