Wenn der Vater mit dem Sohne...

In seinem Stück „Repeater” inszeniert Martin Nachbar ein liebevolles Generationentreffen mit seinem Vater Klaus in den Berliner Sophiensälen

Berlin, 12/11/2007

Sophokles’ „Ödipus”, Kafkas „Urteil” oder sein berühmter „Brief an den Vater” sind die Werke, die einem spontan einfallen, wenn man an die künstlerische Umsetzung von Vater-Sohn-Beziehungen denkt. Doch nicht immer muss die Auseinandersetzung mit dem Erzeuger von Hass und Minderwertigkeitsgefühlen geprägt sein. Martin Nachbar hat in seinem neuen Stück „Repeater” das choreografische Potenzial des Verhältnisses zwischen zwei Generationen ausgelotet und dabei einen ungewöhnlich direkten Weg beschritten. Dort, wo andere mühsam sublimieren, hat er seinen Vater kurzerhand auf die Bühne geholt, um mit ihm 60 Minuten lang ein wunderbar intimes Kammerspiel über Rollenverhalten, Lernprozesse und unausgesprochene Zuneigung zu inszenieren.

Bereits die Ausgangssituation verkehrt das althergebrachte Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Anstatt in einer dominanten Lehrerrolle zu verharren, hat sich Martin Nachbars Vater Klaus auf das Wagnis eingelassen, seinem Sohn bei einem choreografischen Abenteuer zu folgen. In Pullunder und akkurat gebügelter Hose steht er seinem legerer gekleideten Sprössling gegenüber, bereit, sich zumindest einen Abend lang auf dessen Regeln einzulassen. Über weite Strecken hinweg scheint dieser dann auch der Bestimmende zu sein: Immer wieder gibt Martin Nachbar Bewegungsmuster vor, die sein unausgebildeter aber erstaunlich präsenter Vater mit der ihm eigenen Körperlichkeit aufnimmt, abwandelt – oder schlicht ignoriert. Das vorgegebene Bühnensetting ist denkbar einfach: ein Stapel Teppiche, eine Handvoll Schattenrissfiguren und zwei Stühle genügen den beiden Akteuren, um daraus ein Spiel zu entfalten, in dem Vergangenheit und Zukunft, unverarbeitete Konflikte, Anekdoten und gemeinsame Leidenschaften aufscheinen.

Auch die choreographischen Abläufe sind schnell benannt: Vater und Sohn legen ein Puzzle aus Teppichen, spiegeln minutenlang die Bewegungen des anderen, erkunden den Körper des anderen mit den Fingern, verharren in Posen des Sieges und der Niederlage, liegen nebeneinander am Boden und verfallen am Ende des Stückes in ein Wechselspiel, in dem jeweils einer den Körper des anderen modelliert, um sich selbst in die entstandenen Lücken einzupassen.

Was in der summarischen Aufzählung banal und fast langweilig klingt, entfaltet auf der Bühne das Panorama zweier Leben. Gerade weil die beiden jede narrative Situation verweigern, wird der Zuschauer sensibel für all das Unausgesprochene, das zwischen diesen beiden Körpern im Raum steht.

Martin Nachbar, dem das Etikett „Konzept-Choreograf” wie ein Schimpfwort anhaftet, hat sich diesmal sehr weit in die Welt der Emotionen vorgewagt. Wenn Vater und Sohn einander abwechselnd mit seitlich ausgestreckten Armen dem Publikum präsentieren und sich aus diesem Wechsel nach und nach eine Umarmung ergibt, so ist dies mehr als eine Geste: Das gesamte Stück ist ein Herantasten an den anderen, der womöglich durch Tanz leichter zu erreichen ist, als durch die Sprache, die bei dieser Aufführung vollkommen ausgeklammert ist.

Neben dem Spiel der Körper sorgt die akustische Ebene der Inszenierung für ein Oszillieren zwischen verschiedenen Zeitebenen. Immer wieder hallen Geräusche der Vergangenheit – ein hölzernes Kratzen, das von gemeinschaftlichen Bastelabenden der beiden Nachbars herrühren könnte, ein Donner, ein Stimmengewirr – wie vage Erinnerungen durch den Raum. Zwar bewegt sich der Abend oft haarscharf an den Grenzen des Allzu-Privaten, dem auch der wohlwollendste Zuschauer nicht mehr zu folgen vermag, doch gelingt es Martin und Klaus Nachbar, ausgehend von ihrer persönlichen Beziehung etwas Universelles aufzuzeigen: Die Beziehung zwischen Vater und Sohn ist geprägt durch ein Geben und Nehmen, ein ständiger Lernprozess für beide, in dem es keine sichere Position gibt. Selbst wenn die Verwendung der Schattenrissfiguren, die während der gesamten Inszenierung in unterschiedlichen Gruppen zusammengestellt werden, wie eine Reminiszenz an die psychotherapeutische Praxis der Familienaufstellung wirkt, ist „Repeater” meilenweit entfernt von jeder Selbst-Therapie: In seiner fast schüchternen Zartheit und Zurückgenommenheit ist das Stück eine gegenseitige Liebeserklärung, wie man sie sonst selten auf der Bühne sieht.

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