Alexei Ratmansky, Christopher Wheeldon und Twyla Tharp in Moskau

Als Gastkompanie beeindruckte das Bolschoi Ballett mit einem modernen Dreiteiler

St. Petersburg, 19/04/2007

Am 17. April kam ein weiterer Aspekt des Festivalkonzepts zum Tragen: Mit „The Bolschoi at the Mariinsky“ gaben die St. Petersburger Veranstalter dem heimischen und internationalen Publikum Gelegenheit, sich vom neuen Image des Bolschoi Theaters zu überzeugen. Es galt, die dramatische Entwicklung wahrzunehmen, die dessen Ballettkompanie, die mit 70 Tänzern angereist war, durchläuft, seitdem vor drei Jahren als ihr neuer künstlerischer Direktor der noch junge, doch international erfahrene Choreograf Alexei Ratmansky verpflichtet wurde. Den Anfang machte seine Version von Igor Stravinskys „Jeu de Cartes“, die er im Jahr 2005 für seine Moskauer Kompanie kreiert hat.

Im Bühnenbild von Igor Chapurin, das von hohen, nach innen versetzten gelben Flächen geprägt ist und hinten in der rechten Hälfte einen schmalen Flur vor blauem Hintergrund offenlässt, spielen in immer neuen Zweier-, Vierer-, Dreiergruppen die 15 Tänzer als Karten ineinander. Ihre Ganzkörpertrikots wechseln in verschiedenen Stufungen von lila über blasses beige zu gelb. Das neoklassische Ballett mit Mariya Alexandrowa an der Spitze bildet mit seiner neckisch eingesetzten klassischen Technik jedoch keinen Verlauf eines Kartenspiels nach, in dem sich wie bei Cranko ein Joker oder eine Karo 2 profilieren könnten, sondern nimmt die übliche Bewegung der auf einem Tisch hin und herfahrenden Spielkarten zum Anlass, eine hohe, manchmal jazzige Dynamik zu entfalten.

Momente des Jagens und Verlierens wie auch des erfolgreichen Fangens, sich Tarnens oder gegenseitig Schützens beeinflussen dabei die Gruppenbildung und führen zu reizvollen Kombinationen von Bewegungen des freien Ausdrucks mit denen der klassischen Basis. Ein Akzent der Virtuosität sitzt bei den vorzüglichen Moskauer Tänzerinnen im Unterschied zu ihren St. Petersburger Kollegen auf den stechend langen Beinen, hoch gesprungenen Jetés, extrem ausgefahrenen Arabesken, alles härter gezeichnet als im milder schwebenden St. Petersburger Stil.

Den künstlerischen Höhepunkt des Abends aber – wenn nicht des bisherigen Festivals – bot Christopher Wheeldons einaktiges Ballett „Misericordes“ zur Dritten Symphonie von Arvo Pärt, faszinierend im Umgang mit Raum, Musik und Szenenfolge wie auch in der nahtlosen Abfolge der eingesetzten Tänzer, dem Halten von Spannung und der Ausfüllung der sakralen Dimension sowie in den fließenden Linien und den Positionen, die immer mit einem so vollendeten Zeitgefühl durchlaufen wurden, dass sie als Bilder wirkten. Klassische Technik und Elemente des Modern Dance verbanden sich auf hohem Niveau. In ruhiger, vom inneren Bewusstsein getragener Sammlung entfaltete sich hier ein von formvollendeter Energie erfüllter geistiger Raum.

Auch die großartige Bewegungssymbolik im zentralen Pas de deux verriet in der perfekten Verschmelzung mit der Musik, der die Bewegungen in der Kontinuität ihrer Anlage manchmal autonom vorausgingen, die hohe künstlerische Qualität. Eine Gruppierung zur Kathedrale wird von vier Männern und Frauen unpathetisch angedeutet, später folgt, beginnend mit zwei Männern und einer Frau, die wunderbare Komposition von plastischen Figuren, die auf acht Tänzer erweitert werden. Eine kurze Phase, in der die Spannung gelockert wird, bereitet darauf vor, dass dieses Meisterwerk organisch ausklingt. Die Tänzer des Bolschoi haben sich als Bühnenpersönlichkeiten eines großartigen Stücks würdig gezeigt.

Darauf folgte das verspielte Tanz-Idiom der Twyla Tharp. Ihr „In the Upper Room“ aus dem Jahr 1992 zur Musik von Philipp Glass führt 14 Tänzer in ein mitreißendes dynamisches Feld aus mit klassischen Top-Acts akzentuiertem Pop-Dance, in dem diese die pure Lust am Tanz entwickeln. Wenn das Bolschoi Ballett jemals versteinert war, hat es sich hier überzeugend emanzipiert und gleichzeitig die rasante Virtuosität seiner Tänzer bewiesen.

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