Qualität sollte oberstes Gebot sein

Wie sich das Münchner Festival „Dance“ für zeitgenössischen Tanz unter neuer Leitung positioniert

München, 10/09/2007

Bettina Wagner-Bergelt (50), stellvertretende Direktorin des Bayerischen Staatsballetts, ist neue Kuratorin des Münchner Festivals DANCE – das sie 1986 selbst mit erfunden hat. Isabel Winklbauer sprach mit der Dramaturgin, Kulturmanagerin und zweifachen Mutter über ihre Pläne.

Frau Wagner-Bergelt, wann findet DANCE 2008 statt? Sie haben ja 2006 versucht, den Termin in den Sommer zu verlegen.

Bettina Wagner-Bergelt: Richtig. Ich finde, ein Festival hat mehr Präsenz in der Stadt, wenn man es auch unter freiem Himmel machen und den öffentlichen Raum nutzen kann. Als ich letztes Jahr als Kuratorin im Gespräch war, habe ich deshalb für einen Sommertermin geworben – leider vergeblich. Der Zeitpunkt 2008 steht auch schon fest: Ende Oktober, Anfang November. Da muss man sehen, was draußen noch möglich ist. Ich möchte den Termin aber noch etwas flexibel halten - wenn ich einen Künstler unbedingt haben will, soll das nicht an zwei, drei Tagen im Kalender scheitern.

Haben Sie schon ein Motto?

Bettina Wagner-Bergelt: Ja. Ich will Produktionen zeigen, die den Begriff „Kunst“ im Kern erfüllen: Sie sollen provokant sein, Grenzen sprengen, noch nicht da gewesene, mutige Ideen, Gedanken oder Fragen formulieren. Werke, die unsere politische und soziale Situation, unsere Art zu leben, mit den Mitteln des Tanzes reflektieren.

Das klingt als hätten Sie Sehnsucht nach einem aktuelleren, politischeren Tanz.

Bettina Wagner-Bergelt: Politischer Tanz, das klingt so nach Agit-Prop-Theater. Ich denke einfach, wir dürfen nicht bei der Reflexion des Tanzes über sich selbst als Medium stehen bleiben. Dieser Trend war in den letzten Jahren sehr stark - und in Deutschland auch wichtig, weil lange vernachlässigt – für die Zuschauer aber nicht immer so prickelnd. Der Tanz muss sich auf seine speziellen Möglichkeiten besinnen, Neues zu formulieren.

Ist die Abkehr von der Selbstreflexion des Tanzes eine aktuelle Strömung?

Bettina Wagner-Bergelt: Während des Sommers habe ich in der Tat beobachtet, dass Bewegung an sich, und die Inhalte, die sie transportiert, wieder ins Zentrum des Interesses einiger Choreografen rückt. Das ist zum Beispiel beim Berliner Festival „Tanz im August“ aufgefallen: Anne Teresa De Keersmaeker hat es mit einem Stück eröffnet, in dem sie ihre eigenen, sehr tänzerischen Frühwerke wieder aufgreift. Ein mutiges Zeichen für die Auseinandersetzung mit Geschichte, die ich bei Zeitgenossen nicht oft festgestellt habe. Ebenso Xavier Le Roy oder LaLaLa Human Steps, die sich mit klassischen Themen beschäftigten, von „Sacre“ bis „Dornröschen“.

Sie haben DANCE schon einmal kuratiert, von 1986-1989. Was war damals Ihr Anspruch?

Bettina Wagner-Bergelt: Damals ging es einfach darum, Tanz in München dauerhaft zu etablieren. Unser Anfangsrezept war, mit großen, renommierten Gruppen ein Publikum zu rekrutieren: Merce Cunningham kam als erster, danach Alwin Nikolais, Trisha Brown... Vor allem aber kam William Forsythe in den Carl-Orff-Saal. Das war damals eine Sensation! Und es hat geklappt: das Publikum kam, und aus den ersten Versuchen ist ein etabliertes Festival geworden.

Was ist heute anders?

Bettina Wagner-Bergelt: Die Erfolgreichen des zeitgenössischen Tanzes der 80er arbeiten heute in den großen Häusern. Denken Sie nur an Sasha Waltz, Angelin Preljocaj und viele andere. Sie sind auf dem Weg, Klassiker zu werden. Die Weiterentwicklung des Tanzes findet – wenn man von wenigen Ausnahmen absieht, wie Forsythe eben - heute wesentlich in der freien Szene statt, oft in eher kleinen Werken. Damals gingen experimentelle Produktionen eher zum New Dance Festival im Marstall, wie Wim Vandekeybus, der inzwischen längst zu den festen Größen gehört. Ich denke, heute möchte ich eine Mischung aus hochkarätigen Ensembles und jungen Arbeiten sehen, damit so auch Geschichte der Moderne sichtbar wird.

Wie sieht also Ihre Gästeliste aus?

Bettina Wagner-Bergelt: Ich habe schon Künstler kontaktiert, habe auch schon Zusagen. Aber verraten werde ich jetzt natürlich noch nichts. Prinzipiell kriegt München ja sehr wenig vom internationalen Tanzgeschehen mit: Forsythe konnte in 20 Jahren nur zwei Produktionen an der Isar zeigen; auch Anne Teresa De Keersmaeker oder Jan Fabre sah man selten, und das gilt für ganz viele. Das macht die Auswahl gleichzeitig schwieriger und leichter. Zudem will ich von den jungen Gruppen, die Conny Albrecht geholt hat, einige pflegen und wieder einladen. Und ich will ganz gern neue Künstler entdecken, die mit kleineren Formen arbeiten, auch nicht unbedingt nur mit Tanz.

Wird das Staatsballett wieder stärker in DANCE mit einbezogen?

Bettina Wagner-Bergelt: Ja, wir würden gern mehr beisteuern. Es ist nur immer schwierig, weil sich der Festivaltermin mit unserer Winterproduktion überschneidet. 2006 konnten wir deshalb gar nichts bieten. Das soll unbedingt besser werden und wir arbeiten gerade an einem sehr schönen Beitrag.

Sie arbeiten viel mit Kindern und Jugendlichen. Schlägt sich das aufs DANCE-Programm nieder?

Bettina Wagner-Bergelt: Oh ja. Tanz im Rahmen ästhetischer Bildung muss thematisiert werden, das liegt mir am Herzen. Wir werden auf jeden Fall versuchen, Jugend- und Kinderbeiträge auf die Beine zu stellen. Dazu arbeite ich bereits mit Münchner Experten zusammen.

Und welche Spielstätten sind angefragt?

Bettina Wagner-Bergelt: Die Neue Pinakothek wird auf jeden Fall ein Aufführungsort sein. Dazu die üblichen Verdächtigen: Carl-Orff-Saal, Muffathalle, Gärtnerplatz. Daneben auch einige für Tanz noch ganz jungfräuliche Orte. Ich liebe ja diese Art von Ortsbesetzungen…Einige öffentliche Plätze habe ich auch anvisiert – hoffen wir, dass das Wetter mitspielt. 2008 begeht München seine 850-Jahr-Feier. Das will ich nicht außer Acht lassen, wenn ich über Themen und Spielorte nachdenke.

Wo steht DANCE für Sie im europäischen und internationalen Vergleich?

Bettina Wagner-Bergelt: DANCE muss ein Festival für München sein. Wir können aufgrund der Bühnensituation und der Etats nun mal nicht all die Künstler einladen, die wir spontan gerne hätten. In München wurde aus eben diesen Gründen, wie schon gesagt, vieles noch nicht gezeigt. Da lautet die Hauptaufgabe: vorne den Anschluss nicht verpassen und hinten kleine, einfallsreiche Produktionen mitziehen.

Wie werden Sie sich von Ihrer Vorgängerin Cornelia Albrecht unterscheiden?

Bettina Wagner-Bergelt: Einen Druck, es den Albrecht-Fans beweisen zu müssen, verspüre ich nicht. Erstens haben wir uns immer gut verstanden, waren uns inhaltlich meist einig, auch, wenn es um DANCE-Beiträge des Staatsballetts ging. Zweitens, sehen Sie sich doch die Kritiken der Festivalgeschichte an, hier und anderswo: da kann man nicht auf Nummer sicher gehen, jeder hat seine Sicht auf die Dinge. Ich muss einfach zu meinen Entscheidungen stehen. Und drittens hat DANCE doch traditionell wechselnde Kuratoren, was einen Festivalbetrieb auch abwechslungsreicher macht, da jeder andere Schwerpunkte setzt. Da sollten sich die Generationen ebenso ablösen wie bei den Künstlern. Ich sehe mich also nicht bis zur Rente als Kuratorin…

Bis wann denn?

Bettina Wagner-Bergelt: Es ist definitiv jetzt eine Herausforderung. Ich beschäftige mich seit über 25 Jahren in unterschiedlichen Kontexten mit zeitgenössischem Tanz, mit Ballett, mit angrenzenden Genres wie bildender Kunst, mit ästhetischer (Tanz)-Bildung, habe viele gewachsene Kontakte - das kann ich jetzt nutzen. Das Festival ist inzwischen international etabliert und hat seit meiner Geburtshilfe eine große Entwicklung gemacht. Ich amtiere jetzt erst mal 2008, dann sehen wir weiter. […] Nicht zuletzt liebe ich die Arbeit beim Staatsballett sehr.

Wie verstehen Sie sich mit dem neuen Münchner Kulturreferenten Hans-Georg Küppers?

Bettina Wagner-Bergelt: Ich habe mich noch nicht länger mit ihm unterhalten können. Ich hoffe, wir kommen nach den Ferien zu einem Gespräch zusammen. In seiner Biographie gibt es viele Interessensschwerpunkte, die sich mit meinen decken. Er hat sich immer für Tanz interessiert, und er hat, wie ich, sich für Jugendarbeit eingesetzt. Außerdem sind wir beide aus Westfalen, das verbindet…

Wie ist Ihr persönlicher Bezug zum Tanz?

Bettina Wagner-Bergelt: Ich halte den intellektuellen und emotionalen Spaß an Kunst für essentiell für das eigene Leben, übrigens auch für meine Kinder. Dort erfahren sie physisch, dass man alles denken kann, dass es in der Phantasie keine Grenzen gibt. Das ist eine große Freiheit. Ich habe während meiner Anfänge als Sprechtheater-Dramaturgin Feuer gefangen. Mich haben damals schon genreübergreifende Produktionen mehr fasziniert als das reine Stadttheater: Performing Arts aus Sprache, Musik, Film und Tanz, diese „Grenzgänge“ waren ja damals ganz neu. Während meiner Frankfurter Zeit hat sich das Interesses daran verstärkt, als wir im TAT die ersten Festivals machten: „BesTanzaufnahmen“, mit choreographischen Pionieren aus den USA und Europa, Lucinda Childs, Meredith Monk und vielen anderen... Selbst getanzt habe ich nie. Ich war immer jemand, der mit großem Spaß zugesehen und analysiert hat. In dieser Hinsicht habe ich also keine emotionalen Rechnungen offen.

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